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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba
Autoren: Franziska Wulf
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Opferstock der Kathedrale ausgereicht? Musste er ein Fest ausrichten, von dem die ganze Stadt sprach? Ein Fest, das vermutlich erst die Aufmerksamkeit des Inquisitors auf ihn und seine Familie gelenkt hatte? Wie der Name es schon vermuten ließ, war José Alakhir ein Moriske. Selbstverständlich war er ebenso wie seine ganze Familie getauft. Sie alle waren tiefgläubige Christen, aber seine Vorfahren waren Mauren gewesen, Moslems, die so manchem Kirchenfürsten immer noch als Feinde Jesu Christi galten. Und je länger Juan darüber nachdachte, desto weniger Zweifel hatte er daran. José hatte Aufmerksamkeit auf sich gezogen und war dadurch in die Fänge jener Institution geraten, der kein Lebender, ganz gleich, ob er nun Christ, Jude oder Moslem war, je zu nahe kommen sollte – der heiligen Inquisition.
    Jedes Mal, wenn seine Gedanken an diesem Punkt angelangt waren, beschlichen Juan Schuldgefühle, und er fragte sich, ob er etwas für José und seine Familie hätte tun können. Hätte er ihm helfen, ihn vielleicht sogar retten können? Aber wie?
    Ich hätte es versuchen müssen, dachte Juan und fuhr sich durch das Haar, das in feuchten Strähnen auf seiner Stirn klebte, während er zugleich erbärmlich fror. Wenigstens das hätte ich tun müssen. Er ist mein Freund.
    Tagsüber gelang es ihm manchmal, diese Gedanken zu verdrängen, aber nachts fühlte er sich schuldig, als hätte er selbst die Anklageschrift gegen José verfasst. Doch was hätte er tun können? Er hätte einfach ablehnen können, als der Oberste Schreiber ihm befohlen hatte, eine Liste des Inventars und Besitzes des Apothekers José Alakhir anzufertigen. Er hätte auch nachfragen können. Er hätte den Obersten Schreiber einfach fragen können, was mit José geschehen war, wo er mit seiner Familie hingereist war. Er hätte mit den Nachbarn sprechen können oder mit einem Priester. Aber er hatte nichts davon getan. Stattdessen hatte er jedes Laken, jede Gabel und jeden Becher aufgelistet, obwohl sein Magen bei jedem Wort, bei jeder Zeile, bei jedem Eintauchen des Gänsekiels in das Tintenfass revoltiert hatte. Und wenn einer von Josés Nachbarn ihm auf der Straße begegnet war, hatte er seinen Blick gesenkt, als wollte er verhindern, dass man ihm vom Gesicht ablas, dass er José gut gekannt hatte.
    José war sein Freund gewesen. Sie hatten oft miteinander gespeist und Schach gespielt. Warum nur hatte er geschwiegen? Warum hatte er nicht schon viel früher seinen Zweifeln Gehör geschenkt, bereits bei den ersten Namen, die vor ihm auf dem Schreibpult gelegen hatten? Warum?
    Zuerst aus Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit. Die Nachforschungen hätten ihn schließlich Mühe gekostet, und er hatte keine der Familien gekannt. Es waren für ihn nichts als Namen gewesen, beliebige Aneinanderreihungen von Buchstaben – gesichtslos, körperlos, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Dann hatte er natürlich aus Vorsicht geschwiegen. Jede unbequeme Frage hätte ihm schließlich Unannehmlichkeiten seitens des Obersten Schreibers eingebracht; vielleicht wäre er in den Keller versetzt worden, um dort bis zum Ende seiner Tage Mehlsäcke und Ölfässer zu zählen, oder man hätte zur Strafe einen Teil seines Lohns einbehalten. Vor allem aber, und das war der wichtigste Grund für sein Schweigen, hatte er Angst gehabt. Eine furchtbare, bohrende, nagende Angst, die er sich lange Zeit nicht eingestanden hatte. Es war die Angst, aufzufallen und dadurch selbst das Auge der Inquisition auf sich zu lenken, denn auch Juans Vorfahren hatten ihm einen Makel hinterlassen, einen Geburtsfehler, den er seit seiner frühesten Kindheit sorgsam zu verbergen suchte wie ein verkrüppeltes Bein oder eine andere Missbildung. Und das machte ihn verwundbar. Denn Juans Großvater war Jude gewesen.
    Manchmal, wenn er dem Wein zu stark zugesprochen hatte und in eine schwermütige Stimmung gekommen war, hatte ihm sein Großvater von jener schrecklichen Zeit erzählt, als Tomás de Torquemada, der Großinquisitor von Spanien, im ganzen Land gewütet hatte. Damals hatten die Scheiterhaufen auf dem Marktplatz von Córdoba wöchentlich gebrannt. Und viele Freunde und Verwandte – Juden, Halbjuden und getaufte Juden – waren gefoltert worden und in den Flammen gestorben. Juan waren immer Schauer über den Rücken gelaufen, wenn sein Großvater erzählt hatte, wie die Häuser um die kleine Kirche San Tomás allmählich verwaist waren, weil entsetzliche Schreie von bis auf das Blut gepeinigten
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