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Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Hindukusch
    Bleiben wir noch einen Moment im Hindukusch.
    Die folgende Kurzgeschichte ist erstmals im Dezember 2002 erschienen, in der von Michael Nagula herausgegebenen Anthologie Feueratem , die lauter Drachengeschichten enthielt, u. a. von Gisbert Haefs, Bernhard Kegel, Tanja Kinkel, Hanns Kneifel, Kai Meyer und vielen anderen.
    Als Michael Nagula mich um einen Beitrag zu dieser Sammlung bat, kam mir zupass, dass ich kurz zuvor die Bekanntschaft eines bekannten Auslandsjournalisten gemacht hatte, der mir eine ungeheuerliche Geschichte anvertraut, ja, mich darum gebeten hatte, sie publik zu machen: die Begegnung mit einem wirklichen Drachen – hier, heute, im 20. Jahrhundert.
    Aber bitte glauben Sie jetzt bloß nichts von dem, was ich im vorigen Absatz behauptet habe. Das habe ich nur erfunden. Alles. Ehrlich.
     
    »Drachen?«, wiederholte ich, nur um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört oder plötzlich angefangen hatte, an akustischen Halluzinationen zu leiden.
    Mein Gegenüber lachte. »Merken Sie es? An Ihrer eigenen Reaktion? Das ist es, was ich gemeint habe, als ich sagte, dass es Grenzen dafür gibt, was einem als Wahrheit abgenommen wird, und mag es hundertmal wahr sein. Was nicht sein kann, das darf auch nicht sein. Überschreiten Sie diese Grenze, hört man Ihnen nicht mehr zu. Was Sie sagen, wird einfach ausgeblendet, weil es nicht in das Weltbild passt, auf das wir uns stillschweigend geeinigt haben.«
    Ich griff nach dem Weinglas vor mir auf dem Tisch, nur um etwas zu tun, solange meine Gedanken sich zu ordnen versuchten. »Na ja, gut und schön …«, sagte ich, oder so was Ähnliches. »Skandalewerden unter den Teppich gekehrt, man redet nicht über Korruption, Konflikte in Gegenden, die keinen Nachrichtenwert haben, bleiben unerwähnt … Aber Drachen, ich bitte Sie!«
    Mein Gesprächspartner war ein weitgereister, lebenserfahrener Journalist, den man öfters im Fernsehen sieht und dessen Artikel in den renommiertesten Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt werden. Wenn ich seinen Namen nennen dürfte, wäre das hier nicht einfach eine nette Geschichte, die dem Amüsement des Lesers dienen mag, sondern eine Sensation. Aber er hat mich gebeten, es nicht zu tun, und natürlich halte ich mich daran und erkläre also, dass alles, was ich hier erzähle, reine Fiktion ist, selbstverständlich, nichts als meine pure Erfindung. Womit das hoffentlich abgehakt wäre.
    Er lächelte sphinxhaft und winkte dann ab, mit einer jener sparsamen Gesten, an denen man ihn sofort erkennt. »Gerade darauf will ich doch hinaus, verstehen Sie? Skandale, Bestechung, Kriege – das kennen wir alles. Was im Einzelnen los ist, spielt für unser Weltbild keine Rolle. Die Begriffe sind uns vertraut. Es ist etwas, das es unserer Vorstellung nach wirklich gibt. Und das glauben wir auch, wenn wir noch nie in einen Skandal verwickelt worden sind. Auch, wenn wir noch nie bestochen worden sind. Ihre Generation hat auch einen Krieg nie am eigenen Leib erfahren müssen. Gott sei Dank, nicht wahr. Aber Drachen …« Er hielt schmunzelnd inne, und sein Blick wanderte über seine Sammlung von Erinnerungsstücken an seine Reisen, reichverzierte Krummsäbel und zerschlissene Gebetsfahnen an den Wänden, tönerne Gefäße und kleine Jade-Statuetten auf schmalen Borden. »Bei Drachen, da sind wir uns absolut sicher, dass die ins Reich der Märchen gehören. Vielleicht gehören sie da auch hin, das will ich gar nicht in Abrede stellen, aber es gibt sie jedenfalls. Hier. Heute. In unserer Welt. Nicht viele, man muss schon danach suchen, aber es gibt sie. Und das Irrsinnige ist, das ist nicht mal ein großes Geheimnis. Sie würden sich wundern, wie viele Journalisten Ihnen das im vertraulichen Gespräch bestätigen, auch wenn sie den Teufel tun und jemals auch nur ein Wort darüber schreiben würden.«
    Kennengelernt hatten wir uns auf einem Verlagsempfang währendder Frankfurter Buchmesse. Normalerweise nicht die geeignete Umgebung, um über ein mehr oder weniger beeindrucktes Händeschütteln und einen Small-Talk, mit dem man beweisen will, wie unbeeindruckt man ist, hinauszugelangen, aber trotz all dem und trotz des nicht unbeträchtlichen Unterschieds an Lebensalter und Erfahrungshintergrund war zwischen uns ein Draht da gewesen, der in der Folge zu Briefwechseln, Telefonaten und schließlich dazu geführt hatte, dass ich an diesem Abend, nach einem beeindruckend guten Essen in einem Restaurant, das eigentlich auch ins Reich der
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