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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition)
Autoren: Sophie Dannenberg
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Brust, schüttelte sie sanft.
    Jago hustete wieder und fragte: »Können wir noch ein bisschen fahren?«
    Er drehte mit ihr eine Runde um die Stadt. Sie fuhren nach Kladow und näherten sich irgendwann wieder Berlin. Sie sprachen nicht, nur manchmal griff Jago nach Martins Hand.
    Der Schneematsch zischte unter den Reifen der Autos. Unter dem Brummen des Motors und dem Klacken des Scheibenwischers lag Stille, ein Flussbett aus versandeten Worten.
    Jago hatte die Beine angezogen und die Füße auf die Ablage gestellt. Ihre Augen verfolgten die Lichter des Gegenverkehrs.
    »Du machst mich glücklich«, sagte sie.
    »Aber ich bin doch verheiratet und außerdem viel zu alt für dich«, entgegnete Martin.
    »Trotzdem machst du mich glücklich.«
    »Ich fahre doch bloß auf der Autobahn.«
    Zwischen ihnen war jetzt ein Haufen knotiger Luft.
    »Ich will für dich da sein«, flüsterte Jago.
    Martin sagte nichts und trat fester aufs Gas. Eine stumpfe Dunkelheit bedeckte die Landschaft, die zerfasert zwischen den Orten lag.
    Du stinkst, Jagoda, dachte er, du bist billig.
    Er schämte sich sofort für diesen Gedanken. Sie sah ihn mit hellen Augen an und strich leicht mit dem Finger über sein Handgelenk.
    »Willst du noch mal?«, fragte sie.
    Er fuhr mit seiner Hand zwischen ihre Beine, und am alten Kontrollpunkt Dreilinden bog er ab.
    »Da vorne?«, fragte er.
    Sie nickte.
    Die Raststätte des ehemaligen Grenzübergangs rottete seit Jahren vor sich hin. Das rote, zylinderförmige Gebäude mit der Aufschrift »Dreilinden« und seinen verstaubten Fensterfronten war leer. Der Asphalt auf dem Parkplatz war geplatzt, über die fahl beleuchtete Fläche zog sich ein schwarzes Adernetz. Von hinten war der Wald ins Gelände gekrochen, zwischen den Säulen der Abfertigungshalle wucherten kleine Bäume und streckten ihre kahlen Äste aus.
    Martin fuhr den Sitz zurück, Jago kletterte auf seinen Schoß und presste den Kopf an seine Schulter. Sie begann zu weinen.
    »Was hast du denn?«, fragte er.
    »Ich bin nicht so, wie du denkst.«
    »Aber ich denke doch gar nicht schlecht von dir«, sagte Martin.
    »Doch.«
    Er sah aus dem Fenster.
    »Ich blas dir einen«, flüsterte sie.
    »Nein, lass nur, lass«, sagte er und schob sie sanft von sich runter.
    Auf der Rückfahrt strahlten die Autobahnschilder viel zu blau in der Dunkelheit. Überall in Martins Gedanken zogen und ziepten kleine Haken. Das Licht der Laternen fiel auf Jagos Gesicht. Unter den Augen klebten Maskarakrümel. Auf der Stirn erkannte er die vernarbten Krater aufgekratzter Pickel. Dann war das Licht wieder weg.
    »Weißt du, warum ich Autobahnen mag?«, fragte Jago.
    »Nein.« Er war in Müdigkeit gewickelt wie in nasse Pappe.
    »Auf der Autobahn kann mich das Böse nicht finden«, flüsterte sie. »Nur das Gute. Weil die Autos schneller sind als das Böse. Das Gute kommt schnell, das Böse kommt langsam.«
    »Hm.«
    »Ich will immer mit dir fahren«, sagte sie, »damit das Gute auch zu dir kommt.«
    »Wo kann ich dich denn hinbringen?« Er musste gähnen und presste die Faust vor den Mund.
    »Einfach zur nächsten S-Bahn.« Ihre Stimme war rau.
    »Aber ich bringe dich, wohin du willst.«
    »Zur S-Bahn.« Sie drehte den Kopf weg.
    »Na gut.«
    Sie sprachen nicht mehr, er nahm die nächste Abfahrt und setzte Jago am S-Bahnhof Witzleben ab, dort, wo die Neue Kantstraße über die Stadtautobahn und die Schienen führte. Der Zugang zur S-Bahn, ein Walmdachhäuschen mit drei hohen, grauen Türen, stieß an die Brücke. Es war spät, eine der letzten Bahnen näherte sich aus der Ferne. Jago brauchte Geld für die Fahrt. Martin gab ihr einen Fünfzig-Euro-Schein. Er passte auf, dass sie im Deckenlicht des Autos die glänzenden Eurostücke in seinem Portemonnaie nicht sah. Ihr Abschiedskuss war trocken, er spürte raue Hautfetzen, die sich von ihren Lippen schälten. Er blieb im Auto sitzen und sah zu, wie das dünne gelbe Kleid um Jagos schlanke Beine wehte, bevor sie im Bahnhof verschwand.
    In den ersten drei Tagen durfte Sylvia keinen Besuch bekommen. Darum fuhr Martin erst am Freitag wieder zu ihr auf den Teufelsberg. Es waren eigentlich zwei Berge, aufgeschüttet aus den Trümmern des letzten Weltkrieges und dann begrünt und bewaldet. Inzwischen war der größere Berg wieder abrasiert worden, was ihn schmächtiger erscheinen ließ. Statt Wald erstreckte sich jetzt zur Stadt hin ein weit angelegter Park über die Hänge. Oben, auf der abgeflachten Kuppe, wo früher eine
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