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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition)
Autoren: Sophie Dannenberg
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sagte Martin. »Worauf willst du hinaus?«
    »Es liegt weniger an den Augen selbst. Es ist eher der Ausdruck, der ist so fremd, so heuschreckenartig. Ich weiß natürlich, dass die Leute keine Heuschrecken sind. Aber sie sehen so aus.«
    »Du siehst Heuschrecken? Was soll denn das heißen?«
    »Nein«, rief Sylvia, »die Leute sehen nicht aus wie Heuschrecken. Sie sehen nur so aus, als wären sie welche.«
    Martin musterte seine Frau. Sie hatte etwas von einem Rennpferd. Auch wenn ihr Körper träge war – in ihrem Gesicht war immer etwas am Tänzeln. Ihre rotbraunen Haare ließen ihn an freiliegende Nervenstränge denken.
    »Und diese Augen starren mich immerzu an«, sagte sie, »die ganze Zeit, überall.«
    Sie sank zurück auf den Stuhl und betrachtete ihre zitternden Hände. Martin griff danach. Er schwieg. Er dachte, dass er sich für immer an den Krümel zwischen Sylvias Fingern, der leicht in seine Handfläche drückte, erinnern würde.
    »Bei uns im Büro hängen diese Plakate«, flüsterte sie. »Behinderte Menschen, alte Menschen, schwarze Menschen, Menschen mit Schläuchen in der Nase. Und alle starren mich an, von den Plakaten. Alle sind wirklicher als die Leute in der Wirklichkeit. Die Leute in der Wirklichkeit sind nur noch Heuschrecken.«
    Martin blickte auf die Zeitung, auf die Worte. Einige Buchstaben verschwanden im winzigen Schatten einer Papierfalte.
    »Sylvie, sei doch nicht verrückt.«
    Sylvias Wange zuckte rhythmisch. »Okay«, schrie sie, »dann bin ich wohl verrückt!«
    Martin senkte den Blick. Langsam begann er die Zeitung zu glätten, um die Buchstaben aus den Schatten zu befreien.
    In den folgenden Monaten sprachen sie nicht mehr darüber, und er glaubte, dass alles wieder gut sei.
    Draußen war es dunkel geworden. Jagos Augen glänzten, er lag auf ihr, er starrte in ihr Gesicht.
    »Was hast du?«, fragte sie.
    Sie zog ihn an sich und verschränkte die Beine über seinem Rücken, trommelte mit den Fersen sanft auf ihn ein. Währenddessen angelte sie mit der Hand nach ihrer Tasche neben dem Bett und kramte nach Zigaretten. Dabei sang sie irgendwas Arabisches, es klang wie »Yalla, Yalla!«. Sie zündete ihre Zigarette an.
    »Früher hab ich mehr geraucht. Am liebsten Mentholzigaretten. Und dazu Gummibärchen gegessen. Als ich noch klein war.« Sie lachte ihr tiefes, schluchzendes Lachen. »Alles okay, Baby?«
    »Ja, ja, klar«, murmelte Martin.
    »He, guck mal!«, rief sie. Sie blies den Rauch aus und verschluckte sich, hustete.
    »Früher konnte ich mal Ringe pusten«, sagte sie. »Rauchringe, weißt du.«
    »Hm.« Martin machte sich los und rollte zur Seite.
    »Ich will mir die Haare wieder schwarz färben«, sagte sie. »Pechschwarz, sieht edel aus, macht eine Lady aus mir. Letztes Mal war meine Stirn danach schwarz, und da war dieser Typ auf dem Amt, der sagte, Ihre Stirn ist schwarz, und ich hab gesagt, so schwarz wie meine Muschi, und der hat weiter in den Rechner getippt, und ich hab ihm gesagt, dass er cool ist. Ich muss den Leuten immer was Nettes sagen, weißt du.«
    Sie saugte an ihrer Zigarette.
    »Du bist auch cool«, fuhr sie fort, »und nett. Irgendwie fein, aber nicht so ein Poser, weißt du. Ein guter Typ. Ein Gentleman. Und trotzdem ein super Hengst. Einfach cool.«
    Sie bewegte rhythmisch ihr Becken.
    »Meine kleine Jagoda«, sagte Martin. Er lächelte. »Du hast das Talent, Komplimente zu machen.«
    »Echt? Ich labere doch nur rum.«
    »Dein Akzent klingt, als hättest du die Fähigkeit zu loben irgendwo in der Ferne erworben, dort, wo es keine Gebildeten gibt, sondern noch Gurus.« Er streichelte ihr Gesicht.
    Jago nahm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie im Aschenbecher auf dem Nachttisch aus, ohne hinzusehen. Die hohen Brauen verliehen ihrem Gesicht etwas Ratloses.
    »So was hat mir noch keiner gesagt.«
    Sie kramte ihr Handy aus der Tasche. »Lach mal!«, rief sie, drückte auf den Fotoauslöser und zeigte Martin das Bild, ohne es selbst betrachtet zu haben. Es zeigte ihn mit rotem Gesicht und nacktem Oberkörper.
    »Nicht sehr schmeichelhaft. Lösche das bitte.«
    »Ich finde es schön«, sagte sie.
    »Lösche es trotzdem.«
    Sie kicherte, er griff in ihr kurzes Haar.
    »Wie bist du eigentlich hergekommen?«
    »Zu Fuß«, sagte sie.
    »Bei dem Wetter? In dem Kleidchen?«
    »Ja. Erst mit der S-Bahn, dann den Messedamm runter. War nicht weit.«
    »Wir hätten uns doch woanders treffen können.«
    Jago zuckte mit den Schultern. Martin streichelte ihre
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