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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition)
Autoren: Sophie Dannenberg
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US-amerikanische Radarstation gestanden hatte, thronte nun die Cardea-Klinik. Die Cardea-Kette wurde vom Klinikkonzern Primal Prevention betrieben, einem deutschen Tochterunternehmen der US-amerikanischen Continental-Health-Company. Nach langen Verhandlungen hatte der Berliner Senat dem privat geführten Krankenhaus den Versorgungsauftrag für den Stadtbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf erteilt.
    Das Gebäude hatte der vielfach preisgekrönte englische Architekt Sir Roger Rutherford-Hemmings entworfen, bekannt für schlichte Extravaganz. Meistens kombinierte er in seinen Gebäuden weißen Beton und grauen Stahl mit eigenwillig geformten Glaselementen. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um einen in der Verarbeitungsphase stark formbaren Kunststoff, der leicht und stabil, kratzfest und selbstreinigend war. Martins Kanzlei vertrat die in Berlin ansässige Firma Lightwatch, die dieses Produkt namens Glasolex entwickelt hatte und herstellte.
    Die Cardea war ein fünfstöckiger, achteckiger Würfel, der zu schäumen schien – die Glasolexfenster waren groß und rund und wölbten sich als schimmernde Halbkugeln nach außen. Auch das gläserne Dach bestand aus Halbkugeln, zwischen denen zwei Kuppeltürme emporragten, eine Reminiszenz an die alten Radartürme der Spionagestation, die lange die Stadtsilhouette bestimmt hatten. Die Türme gaben dem Gebäude das Aussehen einer futuristischen Moschee. Der Berliner Architekturverein hatte Rutherford-Hemmings für diesen Entwurf den hoch dotierten Hauptstadtpreis verliehen, aber die Berliner, die aus dem Teufelsberg den »Monte Klamotte« gemacht hatten, aus der Siegessäule eine »Goldelse«, aus der Kongresshalle eine »schwangere Auster« und aus dem Kanzleramt eine »Waschmaschine«, machten sich nichts daraus und nannten die Cardea »Seifenblase«.
    Das Nebengebäude, die psychiatrische Privatklinik, war noch nicht fertig, ein gelber Baukran ragte in den Himmel. Auch am Pförtnerhäuschen am Fuße des Berges wurde noch gebaut, der Pförtner saß in einem blauen Container, hinter einer Scheibe aus Plexiglas, in die Berliner Graffiti-Writer ihre Zeichen gekratzt hatten.
    Per Knopfdruck öffnete der Pförtner das Tor zum Klinikpark, die Flügel glitten seitwärts ins Gebüsch, die blank geriebenen Spitzen einiger Äste klackten zwischen den Gitterstäben. Martin dankte mit einem Wink und bog von der Teufelsseechaussee in die Anton-Delbrück-Straße ein, die durch den Park bergauf führte. Unten der Grunewald war schneebefleckt, und der Park war von den Erdhaufen der Gartenbaufirma durchsetzt wie von riesigen Maulwurfshügeln.
    Seit Montag war es etwas wärmer geworden. Der Himmel war voller Kumuluswolken, sie sogen das Abendlicht auf. Langsam schloss sich das Tor hinter Martin. Als er weiter bergauf fuhr, spuckten die Büsche vor ihm kleine, braune Vögel aus.
    Martin hatte die Cardea vor einigen Monaten besichtigt, an einem Sonntag im August, kurz nach der Inbetriebnahme, als der Berliner Architekturverein eine Führung für die eigenen Mitglieder und für die Firma Lightwatch organisierte. Weil Lightwatch Martins wichtigster Klient war, musste er hin. Es war so heiß, dass er nach dem kurzen Weg von seinem Büro zum Auto verschwitzt war. Auf dem Parkplatz der Klinik wechselte er sein Hemd, aber als er die Cardea erreichte, klebte der Stoff wieder an der Haut. Im Grundriss des Gebäudes hatte man ein tortenförmiges Segment ausgelassen und überdacht. Diese Vorhalle führte als Trichter in das Gebäude hinein, in den achteckigen Innenhof. Dort traf sich die Gruppe. Ein Mann aus dem Vorstand des Berliner Architekturvereins hielt den Vortrag.
    Obwohl das Gebäude klimatisiert war, hatten die Frauen rote Gesichter und fächelten sich mit den Werbebroschüren der Klinik Luft zu, sie rochen nach Deo und Selbstbräuner. Die Männer fuhren sich mit Taschentüchern durchs Gesicht. Sonst bewegte sich keiner. Nur eine junge Frau scherte aus und drehte sich um die transparenten Säulen in der Halle, dabei lachte sie Martin an. Sie hatte ihre gebleichten Haare verwuschelt wie Campino, sie trug ein kurzes rosafarbenes Empirekleid und Sneakers, sie war mädchenhaft und burschikos, keine klassische Schönheit wie Sylvia, aber mit katzenhaft breitem Gesicht. Als er sie sah, dachte Martin: Mein Leben muss sich ändern.
    »Was ist das für eine?«, fragte er den Gruppenleiter.
    Der grinste: »Die ist ganz locker. Das ist unsere Jago.«
    Die Halle war fünf Etagen hoch. Die Säulen der Halle
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