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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition)
Autoren: Sophie Dannenberg
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Zuschauertribüne. Schau, da drüben.«
    Er zeigte auf die Gardine, aber draußen war es fast dunkel geworden, und im Gegenlicht der Laternen sah man nur noch das Fensterkreuz.
    »Geil«, sagte Jago. Sie zog das Kleid aus, fingerte zwischen ihren Beinen herum und brachte einen weißen Gummiring zum Vorschein. Sie reichte ihn Martin.
    »Was ist das denn?«, fragte er.
    »Ist mit Hormonen, bleibt in der Muschi, zur Verhütung. Ab heute.«
    »Soll das heißen, du hast die ganze Zeit nicht verhütet?«
    Jago kicherte.
    »Meine Güte«, murmelte er.
    Dann sagte er eine Weile lang nichts, auch Jago schwieg. Schließlich drückte er den Gummiring zusammen und fuhr mit dem Finger darauf entlang.
    »Dein Hormonring ist auch so eine Art Avus. Hier liegen die Straßen nah beieinander, und hier oben, an der Nordkurve, wird der Ring wieder etwas breiter. Dann geht es schnurgerade bis Nikolassee.«
    Er machte Motorengeräusche.
    »Gib her«, sagte sie und öffnete die Beine.
    Vorn auf ihrem Tanga erkannte Martin eine Mickymaus, einige schwarze Schamhaarstoppeln stießen von innen durch den Stoff. Jago schob den Tanga zur Seite und ließ den Ring zurückgleiten.
    »Du hast jetzt die ganze Avus drin«, flüsterte Martin und rollte sich über sie.
    Draußen vermischte sich das Rauschen des Graupelschauers mit dem Rauschen der Autos. Martin stellte sich vor, einen Torso zu bedienen, eine stimmbandlose Sklavin. Er dachte an Sylvia, und plötzlich hasste er seine Frau für ihre quietschenden Liebesgeräusche, für ihre ganze öde Meerschweinchenhaftigkeit und die Stofflampen, die sie ins Schlafzimmer stellte, er hasste ihren Vanillekörper und die wolligen rotbraunen Schamhaare, er hasste ihre Leidenschaft, weil sie nur als Wahnsinn ausgebrochen war. Er umkrallte Jagos Schultern und schnappte mit dem Mund nach ihren Brüsten, Hautfalten liefen strahlenförmig auf die Nippel zu, und Jagos Geruch, der Geruch nach Gummireifen, Limonade und nassen Katzen, war so fremd, dass sein Herz schmerzte. Auf einmal war Jago eine Straße, er raste auf ihr entlang, mit einer Geschwindigkeit, die ihn aufschreien ließ, er hatte kein Zentrum, keinen Kern, alles war eine gerade Strecke, und als er gegen etwas Weiches aufschlug, sah er den glatten, nassen Asphalt ihrer Augen.
    Es waren Jagos Augen, die ihn an alles erinnerten und lähmten. Er hatte das Gefühl, dass Sylvias Krankheit nicht nur in ihr war, sondern auch um sie herum, ein Schwarm, der ihn verfolgte und von dem etwas auf ihn übersprang. Ihm fiel ein, wann alles begonnen hatte. Im Sommer, morgens.
    Sylvia sagte: »Ich weiß, dass die Wände keine Kulissen sind, aber es fühlt sich so an. Und es ist seltsam, dass alle Augen haben.«
    »Was?«
    Martin sah von der Zeitung auf. Sylvia hatte ihren Teil, das Feuilleton, nicht angerührt. Wie so oft überkam ihn die Frage, ob Sylvia eine andere war, während er Zeitung las. Die Sylvia, die er kannte, sprach zu Fremden mit hoher Stimme und las seine englischen Lieblingsromane. Alle paar Monate legte sie sich ins Bett und guckte tagelang Serien auf DVD. In der verkrümmten Position, ein Kissenstapel im Rücken, verspannte sich ihr Rücken. Dann ließ sie sich Massagen verschreiben, schließlich ging sie wieder zur Arbeit. Sie arbeitete bei Street Spirit, einem Projekt der evangelischen Kirche. Diese Sylvia kannte Martin. Aber die andere Sylvia, die hinter seiner Zeitung, wurde immer stiller, je mehr er versuchte, etwas von ihr mit den Ohren einzufangen. Er hörte kein Rascheln, nicht mal ein Atmen. Dass sie ihn plötzlich ansprach, durch die graue Masse der Zeilen, überraschte ihn.
    »Ich weiß natürlich, dass alle Säugetiere Augen haben«, sagte sie, »und Menschen auch. Sie zählen ja zu den Säugetieren. Also haben sie Augen, logisch. Aber es kommt mir so seltsam vor.«
    »Was, Sylvie?« Martin ließ die Zeitung sinken.
    »Die Tatsache, dass sie Augen haben. Und mit diesen Augen auf mich zugehen.«
    Während Sylvia sprach, stand sie auf und räumte den Küchentisch ab, fegte die Krümel in die hohle Hand. Ihre Handgriffe waren flink wie immer. Martin glaubte zuerst, dass sie scherzte. Als sie aufsah, merkte er, dass ihr Kinn bebte und kleine knittrige Krater bekam.
    »Auch auf den Werbeplakaten und in den Zeitschriften. Überall diese Augen. – Ich weiß natürlich, dass Augen etwas ganz Normales sind«, fügte sie rasch hinzu.
    Sie warf die Krümel aus dem geöffneten Fenster. Sie tat das immer, für die Vögel.
    »Ich verstehe dich nicht«,
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