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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition)
Autoren: Sophie Dannenberg
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Schwester, die sofort angelaufen kam, schimpfte sanft mit dem Alten und streichelte ihn zugleich.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte sie zu Martin. »Das hat er noch nie gemacht. Das passt gar nicht zu ihm. Kommt aber manchmal vor bei Alzheimer. Bitte entschuldigen Sie.«
    »Schon gut.«
    Als sie in Sylvias Zimmer standen, zwischen schlanken Möbeln mit Furnieren aus dunkler Räuchereiche, sah das Mädchen mit den langen schwarzen Haaren kurz herein.
    »Schwein«, sagte sie noch einmal zu Martin. Dann schloss sie die Tür mit einem Knall.
    »Meine neue Zimmergenossin«, sagte Sylvia.
    »Reizend«, entgegnete Martin.
    »Nimm es ihr nicht übel. Sie war gerade ein paar Tage auf der B. Du weißt schon, auf der Geschlossenen.«
    Sylvia setzte sich aufs Bett, auf die gelbgestreifte Decke mit dem Logo der Cardea, ein Schlüsselloch, das ein Kranz umrankte. Martin ließ sich in den Ledersessel fallen.
    »Wie soll das weitergehen?«, fragte er.
    »Bis Vosskamp sagt, dass es besser wird.«
    »Ihr beide führt lange Gespräche?«, fragte Martin.
    »Nein, wieso?«
    »Ich habe mir eine Zwischenrechnung schicken lassen. Da wird jeden Tag eine halbe Stunde Gespräch aufgeführt. Zum dreikommafünffachen Satz, wegen besonderer Schwere des Falls.«
    »Quatsch, wir haben uns erst einmal gesehen«, sagte Sylvia. »In der Chefarztvisite, für drei, vier Minuten.«
    »Da steht aber jeden Tag«, sagte Martin. »Jeden Tag eine halbe Stunde.«
    »Die rechnen das eben so ab.«
    »Das ist ja Betrug.«
    »Gönne mir das doch«, sagte Sylvia.
    »Ich soll dir was gönnen, was du gar nicht kriegst?«
    »Ich kriege doch was, bloß anders, als es auf der Rechnung steht.«
    »Dann müssen die das auch anders abrechnen«, sagte Martin. »Und warum zum dreikommafünffachen Satz? Was ist denn so schwer an deinem Fall? Normalerweise wird doch bei Privatpatienten nur zum zweikommadreifachen Satz abgerechnet.«
    »Ist doch egal, solange er mir hilft.«
    »Offenbar weiß dein Vosskamp, wie man an Geld kommt. Bis jetzt ist er ja nur Chefarzt der psychiatrischen Station der Cardea. Aber wie man hört, soll er Chef der Privatklinik werden. Da verdient er sich dumm und dämlich.«
    »Warum bist du so gemein?«
    »Ach, Sylvie.«
    Er wollte ihre Hand nehmen, aber sie faltete die Finger ineinander und drückte sie, bis sie weiß wurden.
    »Du musst mir das mit den Heuschrecken erklären«, sagte sie.
    Ihre Wange begann zu zucken. Martin spürte sein Herz, wie es klopfte, und den Mund, aus dem irgendwas die Feuchtigkeit saugte.
    »Ich tue alles für dich«, sagte er. »Aber ich fürchte, das kann ich nicht.«
    »Die Heuschrecken haben was mit dir zu tun. Du musst mir endlich den richtigen Standpunkt erklären.«
    »Welchen Standpunkt? Wovon redest du?«
    »Okay, es gibt keinen Standpunkt«, schrie Sylvia und schlug sich mit beiden Fäusten ins Gesicht, auf die Stirn, die Augen, die Wangen. »Es gibt keinen Standpunkt, es gibt keinen Standpunkt!«
    Martin drückte den Notrufknopf.
    Später verließ er die Station über die Hintertreppe am Ende des Flures, er wollte Frau Baran nicht mehr begegnen. Bevor er das Treppenhaus betrat, streifte sein Blick das große Bild, das an langen Drahtseilen zwischen zwei Halogenleuchten hing. Das Bild stammte vom Ostberliner Maler Horst Vierer. Es war eine Mischung aus sozialistischem Realismus und Miró, es zeigte bunte Strichmännchen, die durch mehrere Ebenen nach oben kletterten. Die untere Ebene stellte ein Krankenzimmer dar, die obere eine Blumenwiese mit Wölkchenhimmel und Sonne. Offenbar, dachte Martin, glaubte der Maler an Trost.
    Während er die Treppe hinunterstieg, wurde ihm schwindelig. Er schloss die Augen und hielt sich am Geländer fest, dann ließ er sich auf die Stufen sinken. Er spürte Schweiß auf der Stirn und am Hals. Erst nach einer Weile stand er wieder auf. Unten angekommen, durchquerte er im Laufschritt die Halle mit ihren bunten Sesseln für Wartende. Auf den Couchtischen standen Schalen mit weißen Steinen und Bambusrohren, der Springbrunnen in der Mitte plätscherte, das Geräusch klang sinnlos. Eine große automatische Drehtür führte nach draußen in den trichterförmigen Vorhof. Bevor Martin in ihren Kreis trat, wandte er sich noch einmal um.
    »Herzlich willkommen in der Cardea-Klinik!« las er auf einem großen Schild. »Überschreiten Sie die Schwelle zur Gesundheit!«
    Zu Hause ließ er sich in den Winchester-Sessel in seiner Bibliothek sinken, ohne Licht zu machen. Sein Körper war taub.
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