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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf
Autoren: Carl Reinecke
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Mein erstes Begegnen mit Franz Liszt war kein persönliches: Liszt, im Zenit seines Ruhmes als Virtuose stehend, gab in Hamburg ein Konzert, und ich, als obskurer klavierspielender Knabe, hatte selbstverständlich keinen heißeren Wunsch als ihn, den größten Klavierspieler seiner Zeit, zu hören, einen Wunsch, den der gütige Vater erfüllte. So wanderte ich denn klopfenden Herzens von der Nachbarstadt Altona nach dem Hotel „Alte Stadt London“ auf dem Hamburger Jungfernsteg. Es war noch zur Zeit vor dem schrecklichen Hamburger Brande und zur Zeit der kleinen intimen Konzertsäle. Der fashionabelste Saal Hamburgs war der in dem genannten Hotel, er fasste nur vier- bis fünfhundert Hörer. Liszt war meines Wissens der erste Klaviervirtuose, welcher seine Konzerte ganz allein, ohne jegliche Mitwirkung anderer Künstler, bestritt. Das tat er auch in diesem Konzerte, abgesehen davon, dass er das berühmte Septett in D-moll von Hummel mit Begleitung einiger Hamburger Künstler vortrug. Liszt, eine überaus schlanke, elegante Gestalt, begann mit der Sonate quasi una fantasia in Cis-moll von Beethoven, und ich erinnere mich genau, dass ich ebenso entzückt war von dem unvergleichlichen Vortrage der ersten beiden Sätze wie erstaunt über die rhythmischen Gewalttätigkeiten, welche er im letzten Satze verübte. Ähnlich wechselten die Eindrücke bei mir während seiner ferneren Vorträge. Spielte er wie der echte Liszt, so spielte er wie vor und nach ihm kein anderer Klavier gespielt hat. Seine erstaunliche, von keinem übertroffene Bravour und Virtuosität war stets mit Poesie und mit der feinsten musikalischen Intelligenz gepaart. Kühnheit, Leidenschaft, Anmut, Eleganz, Humor, Schlichtheit des Ausdrucks, alles war zu rechter Zeit da und zwang einen zu uneingeschränkter Bewunderung. Kitzelte es ihn aber, die blinde Menge ein wenig zu nasführen, so ließ er sich zu allerlei Barockem verleiten, worüber sogar ich als Knabe schon den Kopf schütteln musste. So entsinne ich mich, wie betroffen ich war, als er in der übrigens wundervoll gespielten Rossinischen Tell-Ouvertüre den Kuhreigen mit der rechten Seitenfläche des rechten Zeigefingers hämmerte! Unvergleichliche, durch nichts getrübte Leistungen, die mir noch heute, nach beinahe sechzig Jahren, klar vor der Seele stehen, waren das Septett von Hummel, die chromatische G-Dur-Etude von Moscheles, das Schubertsche Ständchen und die schon erwähnten beiden Sätze aus der Beethovenschen sogenannten Mondscheinsonate. Sehr imponierte es mir, dass Liszt zwischen den einzelnen Vorträgen sich nicht zurückzog, sondern vom Podium herabstieg und als vollendeter Kavalier mit der schönen Damenwelt plauderte.
    Manches Jahr war vergangen, ich lebte – im Jahr 1848 – in Leipzig. Da forderte mich eines Tages Ernst, der herrliche, Liszt kongenialer Geiger, der sich damals längere Zeit in Leipzig aufhielt, freundlich auf, mit ihm nach Weimar zu fahren, um Liszt einen Besuch abzustatten. Selbstverständlich war ich überglücklich, den Meister kennen lernen zu sollen. Gegen Mittag trafen wir in Weimar ein und eilten auf die Altenburg, wo Liszt damals residierte. Er empfing Ernst mit Herzlichkeit und mich, seinen Schützling, mit der ihm eigenen herzgewinnenden Liebenswürdigkeit. Er lud uns sofort zur Mittagsmahlzeit ein, an der außer unserem gütigen Wirt nur sein Sekretär und Geschäftsträger Belloni, Ernst, dessen Sekretär Franke und ich teilnahmen. Das Mahl war nicht lukullisch, aber vornehm, und zu den Speisen wurde bayrisch Bier und Sekt kredenzt. Den letzteren verschmähte Liszt vollständig und äußerte dabei, wie seltsam es sei, dass er die Reputation habe, viel Sekt zu trinken und oft Saiten abzuschlagen, während doch beides nicht der Fall sei. (In der Tat bin ich nie Zeuge gewesen, dass er eine Saite sprengte, sein Anschlag war stets elastisch, selbst bei titanenhaften Ausbrüchen). Damals war ihm ein Gläschen fine champagne   lieber als die feinste Marke Champagner, und er trank während der Tafel manches Gläschen. Als er auch uns davon anbot, und Ernst für mich dankte mit den Worten: „Der Reinecke ist ein Puritaner, der trinkt keinen Schnaps,“ meinte Liszt: „Enfin, lieber Reinecke, Sie haben ganz recht, ich gewöhne es mir jetzt auch ab.“ Trotzdem trank er dann wieder sein Tässchen Mokka mit einem Schuss Cognac. Nach Tische forderte er mich auf, ihn zu einem Schüler zu begleiten, dem er eine Stunde zu geben habe (es war der jetzt in Leipzig
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