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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf
Autoren: Carl Reinecke
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(später als op. 34 erschienen) und wiederum die Kreutzersonate von Beethoven, während er am 5. Januar 1848 meine Soirée durch den Vortrag des Beethovenschen C-Dur Quartetts op.59 auszeichnete (die Namen der übrigen Ausführenden waren: Francke, von Königslöw und Sahlgreen). Aus jener Zeit stammt auch der folgende humoristische Brief von Ernst:
     
    „Seiner Wohlgeboren
    dem Herrn Kapellmeister
    Carl Reinecke
    (in Es-dur) 1  
    in der Hauptstadt von Dänemark
    Zur Genesung 2  
     
    Lieber Freund!
     
    Es thut mir recht leid, dass wie heute nicht zusammen speisen können, und noch leider  , daß ein Unwohlsein Sie daran hindert. Ihren Auftrag werde ich besorgen. Ich sende Ihnen beifolgend die italienischen Lieder von Kullak und Eckert bearbeitet. Sie (nicht Sie, sondern sie) scheinen mir recht hübsch und effektvoll. Sehen Sie sie doch an und bringen Sie sie wieder mit. Vielleicht spielen wir sie den Abend bei Hofe.
    Adieu.
    Empfangen Sie die Versicherung meiner aufrichtigen Hochachtung und freundschaftlichen Ergebenheit. Wenn ich es Ihnen versichere, so ist es gewiss.
    Ernst
     
    Kopenhagen, den 26. Dezember 1847.“
     
     
    Das Hofkonzert, von dem in diesem Briefe die Rede ist, fand wirklich statt, und wir spielten auch die erwähnte Phantasie von Kullak und Eckert, aber ich muss beichten, dass ich dem guten Ernst an demselben Abend einen argen Streich spielte. Und das hing folgendermaßen zusammen: Zu jener Zeit kursierte in Kopenhagen eine über alle Maßen naive Polka, deren Autorschaft der Prinzess F., einer alten, sehr hässlichen Dame, zugeschrieben wurde, und die Ernst so übergroßen Spaß machte, dass er sie gar nicht genug hören konnte. Er spielte sie einem jeden auf der Geige oder auf dem Klavier vor, er pfiff oder sang sie, wo er ging und stand. Als er nun in jenem Hofkonzerte seinen unvermeidlichen Carneval von Venedig spielte, und ich ihm diesen begleitete, entfaltete er die übermütigste Laune, mischte Mozarts „ Non più andrai, farfallone amoroso  “, Mendelssohns „Auf den Flügeln des Gesanges“, den Freischütz-Walzer und alles mögliche andere hinein und antwortete dann jedes Mal mit den übermütigen Motiven des Carnevals, während ich hundert und aber hundert Mal die eintönige, nur auf zwei Akkorden beruhende Begleitfigur abhaspeln musste. Da kam mir denn der verwerfliche Gedanke, mich auch auf eigene Faust zu amüsieren, und so fing ich an mit der linken Hand die berühmte Polka von der Prinzess F. zu spielen, welche Ernst gegenüber Platz genommen hatte. Ernst, der sich nur mit Mühe des Lachens erwehren konnte, richtete unwillige Blicke auf mich, aber ich tat, als sähe ich es nicht und hämmerte unbarmherzig meine Polka mit der linken Hand, während die rechte ganz bieder die vorgeschriebene Begleitung spielte. Später löste sich aber sein Zorn sofort in ein heiteres Lachen auf, denn er hatte sehr viel Sinn für Humor und selbst für kindliche Späße. So war ich einst Zeuge, wie er 1843 gemeinschaftlich mit Ole Bull dem Kunstgenossen Theodor Döhler zu dessen Geburtstag am 22. April ein Ständchen brachte, indem er, der Schlanke und Schmächtige, auf den Schultern des reckenhaften Ole Bull Platz genommen hatte und mit dem Bogen die Geige bearbeitete, welche sein edles Ross unter dem Kinn hielt. Es war ein Bild, würdig eines Oberländer. Einstmals forderte er Döhler und mich auf, ihm die Euryanthen-Ouvertüre vorzuspielen. Als wir an die berühmte Pianissimostelle in der Mitte der Ouvertüre kamen, fühlten wir plötzlich unsere Köpfe beschwert, Ernst hatte sich hinter uns geschlichen und uns, um die Dämpfer zu markieren, welche bei dieser Stelle auf den Steg der Geigen gesetzt werden, je eine Butter- und Käseglocke auf den Kopf gesetzt, welche er leise vom Frühstückstisch genommen hatte. Zu solchen und ähnlichen Späßen war er damals stets aufgelegt; und als ich ihm einst meine Bewunderung darüber aussprach, dass er sich trotz der unerhörten Huldigungen, die man ihm stets darbrachte, eine solch unglaubliche Anspruchslosigkeit bewahrt hätte, sagte er: „Ach Gott, lieber Freund, was ist denn ein Virtuose, ein bloß ausübender Künstler? Wir Virtuosen haben alle Ursache, bescheiden zu sein. Nur ein schaffender Künstler darf sich fühlen, wenn er etwas Schönes komponiert hat. Was habe ich denn geschrieben? Einige Virtuosenstücke und die Elegie!“ (Das Fis-moll Konzert existierte damals noch nicht). Zur rechten Zeit aber konnte er auch den echten
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