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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf
Autoren: Carl Reinecke
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dirigierte wie ein firmer Operndirigent – Flotows Martha. Als ich nach Leipzig zurückkehren musste, entließ er mich, reich beschenkt mit einem ganzen Stoß seiner Klavierwerke (darunter die berühmte E-Dur-Polonaise, die Des-Dur-Etüde und die drei Notturnos „Liebesträume“), und seine Freundin, die Fürstin Wittgenstein, verehrte mir ein Medaillon (Basrelief) von Liszt nach Schwanthaler, welches noch heute mein Zimmer schmückt, während sein musikalisches Geschenk einen besonderen Platz in meinem Notenschrank einnimmt. Im Jahre 1851 erhielt ich in Bremen, wo ich damals lebte, einen reizend liebenswürdigen Brief von Liszt aus Helgoland, in welchem er mir seinen Besuch anmeldete und mir gleichzeitig den Vorschlag machte, in Bremen ein Konzert zu veranstalten, in dem er mich durch seine Mitwirkung unterstützen wolle, er habe nie in Bremen gespielt, und da könne es vielleicht meinem Konzerte förderlich sein. Dass ich dies großherzige Anerbieten dankbar annahm, wird jeder begreifen. Ich empfing ihn auf dem Bahnhofe, und er fuhr sofort mit mir ins Konzertlokal, um mit mir die soeben erschienenen Variationen für zwei Flügel über den Marsch aus Preciosa von Mendelssohn und Moscheles zu probieren. Nach der Introduktion unterbrach er die Probe und sagte: „Hier wollen wir heut Abend einen Halt machen, ich werde da eine Kadenz improvisieren.“ Und wie erfüllte er am Abend sein Vorhaben! Es war, als wenn er eine Visitenkarte an das Publikum abgäbe, auf der mit goldenen Lettern „Franz Liszt“ geschrieben stände. In der dritten, unfehlbar von Moscheles herrührenden Variation kopierte er in liebenswürdiger Weise (die natürlich nur mir erkennbar sein sollte) die in seinen späteren Lebensjahren etwas manieriert gewordene Vortragsweise Moscheles' so, dass ich Mühe hatte, ganz ernsthaft zu bleiben. Zum Schlusse spielte er seine Don Juan-Phantasie. Jeder große Sänger, jede deutsche Sängerin hätte noch von ihm lernen können, wie man den Don Juan und die Zerline singen soll. Wenn er die schwierigsten Bravourstellen, die längsten Kadenzen spielte, die mir früher oder später beim Vortrage jedes anderen Virtuosen wie überflüssiger Virtuosenflitter erscheinen wollten, so machte das bei ihm den Eindruck, als ob er Blüten und Perlen mit vollen Händen ausstreute. Der Jubel der Hörerschaft war unbeschreiblich. Aber als ich nach dem nicht enden wollenden Beifallssturm die schüchterne Frage wagte, ob er nicht noch eine kleine Zugabe spenden wollte, schüttelte er den Kopf und führte meine Hand an sein Herz – und ich erschrak, als ich fühlte, wie ungestüm, fast hörbar es klopfte.  
    Da ich von Bremen aus nach Paris zu reisen beabsichtigte, stattete er mich mit vielen Empfehlungsschreiben, an Berlioz, Erard, die Brüder Escudier, den Fürsten Wittgenstein, die Marquise de Foudras, Madame Patersie (die Erzieherin seiner Töchter) aus, schrieb überdies für die „ France musicale “ einen Artikel über mich zur Einführung bei dem Pariser Publikum und verlangte, dass ich seinen Töchtern Blandine und Cosima während meines Aufenthaltes in Paris Klavierstunde geben solle, ein Verlangen, das ich denn auch getreulich und gewissenhaft erfüllt habe. Es ist mir Zeit meines Lebens ein Herzenskummer gewesen, dass ich mich diesem großen Künstler und guten Menschen niemals durch aufrichtige Bewunderung seiner Kompositionen habe dankbar beweisen können, aber es ist mir trotz allen Bemühens stets versagt geblieben, mich für dieselben zu erwärmen. Wer mich deshalb einseitig und beschränkt schilt, hat von seinem Standpunkte aus vielleicht Recht, aber in Glaubenssachen wie im Kunstgeschmack kann man sich nun einmal zu nichts zwingen. Als ich in späterer Zeit verschiedene Stellungen als Dirigent einnahm, konnte ihm das nicht verborgen bleiben, und es ist sicher ein Beweis seiner Herzensgüte und Charaktergröße, dass er mir nach wie vor sein Wohlwollen erhielt; denn dass ich manche seiner Werke als Spieler wie als Lehrer kultivierte, konnte unmöglich Eindruck auf ihn machen.
    Noch einmal begegnete ich Liszt in Meiningen. Ich war eingeladen worden, dort in einem Konzerte zum Besten des Joh. Seb. Bach-Denkmals in Eisennach mitzuwirken, und am Vorabende dieses Konzertes traf ich Liszt in einer Gesellschaft bei Friedrich Bodenstedt. Selbstverständlich ward Liszt bestürmt zu spielen. Er blätterte unter den Notenheften, die auf dem Flügel lagen, entdeckte die zweite Suite von Franz Lachner im
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