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Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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wenn wir ehrlich sind, was sind schon die wenigen Tausend Jahre, in denen so etwas wie Bewusstsein existiert, gegenüber den vielen Hunderttausenden von Jahren, in denen wir relativ gut – immerhin sind wir ja nicht ausgestorben – gelernt haben, uns unbewusst mit unseren Artgenossen zu arrangieren und in der Welt zurechtzufinden?
    Schon vor Urzeiten haben wir als Jäger und Sammler gelernt, dass die goldgelben, reifen Trauben den grünen, unreifen vorzuziehen sind. Da braucht der Abbildung einer reifen Traube doch heute niemand ein „Schmeckt gut“ hinzuzufügen. Auch die Sehnsucht nach „Mittelmeer“ hat sich seit Jahrhunderten fest im kollektiven Unterbewusstsein der Teutonen eingebrannt und wird durch geheimrätliche Reisen zur Zitronenblüte, blaue Grotten nebst Sonnenuntergängen vor bella Napoli und Wochenendhäuser der Toskanafraktion lebendig gehalten. Daher verkaufen Magier, denen es gelingt, diese Träume nach ars vivendi mit billigstem alkoholhaltigem Sprudel zu verbinden, jährlich Tausende Paletten von Prosecco.
    Der schöpferische Drang der Menschen, die Welt zu erkunden und für sich nutzbar zu machen, hat auch um die Weinwelt keinen Bogen gemacht. Warum auch? Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden genutzt. In der Produktion genauso wie im Verkauf. Und warum sollte ausgerechnet beim Wein nicht mit unsauberen Tricks gearbeitet, nicht gelogen, getäuscht und manipuliert werden? Hier aufzuräumen, den Panschern und Lügnern das Handwerk zu legen, ist ein alter Traum der Menschheit. Shakespeare hat diesem Traum ein eigenes Drama, den Sturm, gewidmet. Auf einer einsamen Inselstudiert Prospero die – aus der Perspektive des Mittelalters – magischen Künste der modernen Technik. Dabei missbraucht er Ariel, den guten Geist der Aufklärung, zur Manipulation seiner Mitmenschen. Für Shakespeare hat der Traum ein gutes Ende: Der bekehrte Prospero schwört, sein Leben zu ändern und seine schöpferischen Fähigkeiten nur noch zum Wohl der Menschheit zu nutzen. Ein schöner Traum, über den wir angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich des globalisierten Food-Designs nur müde lächeln können.
    Stopp! Formiert sich nicht gerade die Gegenbewegung? Verzeichnet die Organisation Slow Food nicht rasant wachsende Mitgliederzahlen? Ist die Ökobewegung nicht im Zentrum unserer Gesellschaft angekommen? An den Universitäten werden Lehrstühle für Ökologie eingerichtet, und Jahr für Jahr wächst der Kreis der Winzer, die ihre gute Ausbildung dazu einsetzen, authentische und ökologisch verantwortbare Weine herzustellen. Während die geschmackoptimierten Coca-Cola-Weine der Plastico-fantastico-Fraktion in Supermarktregalen und Jetsetabsteigen ihre globalisierten Triumphe feiern, merken immer mehr Weinliebhaber, dass sie sich eigentlich nach etwas anderem sehnen. Nach einem ehrlichen, anständigen Wein.
    Die Magie des Weins liegt nicht nur im Verkauf. Wein ist selbst ein magisches Getränk, in unserem Kulturkreis ist es das magische Getränk schlechthin. Weit mehr als Wasser, Milch und Brot umgibt Wein seit dem Altertum eine geheimnisvolle Aura. Daran konnten auch Louis Pasteur und der französische Chemiker Lavoisier nichts ändern, die um die Mitte des 17 . Jahrhunderts die „kleinen Tierchen“ entdeckten, die den Fruchtzucker in Alkohol umwandeln. Und auch die seit Generationen flächendeckende Aufklärung durch Heinz Rühmann als „Oswald Kolle des Weins“ in dem wunderschönen Film Feuerzangenbowle liefen ins Leere. Der Wein ist und bleibt Magie: Mitheiligen Formeln und geheimnisvollen Präparaten braut der Winzer in seinem Alchemistenkeller im großen Kessel seinen Zaubertrank. Und es ist Magie. Denn im Keller vollzieht sich mehr als nur eine chemische Wandlung. Aus Trauben wird ein Rauschgetränk, ein die Zunge lösendes Kommunikationswunder, ein vorzüglicher Essensbegleiter, das Blut Gottes, ein Sorgentröster, ein Potenzmittel, eine Wahrheitsdroge … Es entstehen neue Wirklichkeiten. Und schon sind wir wieder mittendrin, in der Magie. Aber das ist ihre andere, ihre schöne Seite. Ist es nicht wunderschön, sich von einem guten Wein verzaubern zu lassen? Klar, viele Menschen haben Angst davor. Auch viele Weintrinker. Sie kokettieren zwar ein wenig mit dem Rausch, wollen aber unbedingt die Kontrolle behalten. Statt sich dem Wein hinzugeben, zücken sie ihr organoleptisches Seziermesser und zerlegen den Wein in seine chemischen Bestandteile. Getreu dem Motto Marc Aurels:
    Man dringe bis
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