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Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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ich nun die giftigen Chemikalien hoch genug potenziere oder sie nur als „Information“ in speziell energetisiertem Wasser im Weinberg versprühe oder mit Wilhelm Reichs Orgonkanone in den Weinberg beame?
    Ganz schön kompliziert, die Weinwelt. Nicht nur für die Winzer und Genießer, auch für die Verkäufer. Sollen sie die Wahrheit überden Wein erzählen? Welche Wahrheit? Sollen sie auf allergene Histamine und Sulfite hinweisen oder auf das Suchtpotenzial des Alkohols? Das Alter der Steine im Weinberg, das der Reben oder das des Winzers? Sollen die Verkäufer den Kunden mit passenden Histörchen bei seiner spezifischen Bedürfnisstruktur abholen oder wirklich etwas vom Wein erzählen? Oder beides? Oder ist das nicht sowieso das Gleiche, weil der Wein ohnehin zu hundert Prozent aus Projektionen besteht?
    Wer den komplexen Anforderungen des modernen Marktes in einer globalisierten Gesellschaft genügen will, so hören wir es allenthalben, benötigt Marketingexperten, braucht Werbung. KISS, lernt der BWL-Student, ist die Abkürzung für Keep it simple and stupid . Eine klare, einfache Werbebotschaft, die jeder versteht und die man leicht behalten kann respektive die sich möglichst tief ins Unterbewusstsein einbrennt. Die Magie des Verkaufs ist seit Dekaden Forschungsgegenstand an vielen Universitäten. Professor Kroeber-Riel, einer der Klassiker unter den Konsumentenforschern, beschreibt den zentralen Zaubertrick wie folgt: Man verknüpfe das Produkt mit in der jeweiligen Zielgruppe positiv besetzten Gefühlswelten. Damit es richtig sitzt und da alle Menschen unterschiedlich strukturiert sind, klappt es am besten, wenn diese Verknüpfung auf allen Sinneskanälen erfolgt. Die visuellen Menschen, die größte Gruppe in unserer Gesellschaft, sehen sich besonders zu schönen Bildern hingezogen. Wenn sich die hübschen Gallo-Töchter in ihren 50 er-Jahre-Klamotten inmitten der herrlichen Weinlandschaft des Napa Valley an ihren alten Chevy lehnen … Die zweite Gruppe, die auditiven Menschen, reagieren ganz besonders auf einen angenehmen Sound. Der geheimnisvolle Hall im Gewölbekeller, das blubbernde Gärgeräusch, der satte Plopp beim Herausziehen des Korkens. Das klingt gut, das hört sich gut an. Und die Gruppe der Fühler, Schmecker und Riecher reagiert wie der Pawlow’sche Hund, wenn es im Supermarkt so wohlig nach Kaffee, frischer Brotrinde oder Zwiebelkuchen mit Federweißem duftet. Und dann die schwere Flasche mit dem Etikett aus sanft-rauem Büttenpapier, da geht einem doch das Herz auf! Das fühlt sich toll an!
    In Australien werden die Weine mit Kängurus, Koalabären, mystischen Bildern und Symbolen der Aborigines verknüpft. Und ob Baströckchen-Chiantiflasche der Caterina-Valente-Zeit, handgeschriebenes Etikett der Toskana-Selbsterfahrungsfraktion oder cooles Design für den italophilen Intellektuellen, das Schema ist immer das gleiche. Ob jemand mit industriellen Methoden möglicht billig möglichst viel Geschmack produziert hat oder mit viel Liebe hochwertige Handwerkskunst, dem Marketing ist das egal. Verkauft werden einfach zu kommunizierende Gefühlswelten wie Locker-flockig-fröhlich-Frühling oder Graumeliert-seriös-Kaminfeuer oder Grünes-heiles-Familien-und-Landleben. Das klappt allerdings – zurück zur Uni – nachhaltig nur dann, wenn es gelingt, das Produkt entsprechend zu individualisieren. Die Kuh auf der Alpenwiese kommt zwar gut an, dahinter kann sich aber alles Mögliche verstecken. Erst wenn das gute Tier lila angestrichen ist, mutiert es zu wirklich knackiger Werbung, räumt Marketingpreise ab und krallt sich derart im Hirn fest, dass sich auch in bayerischen Kindergärten die Mehrzahl der Kids beim Malen von Kühen um den lila Farbstift zanken. (NLP, das neurolinguistische Programmieren, lässt grüßen.) Sich dieser Manipulation, dieser verführerischen Magie der Werbung entziehen, das ganze System durchblicken – wer möchte das nicht?
    Spätestens seit den Arbeiten des Züricher Psychoanalytikers Carl Gustav Jung muss sich auch der aufgeklärteste kritische Zeitgenosse von solchen Illusionen freimachen. Als einer der Schüler von Sigmund Freud forschte Jung über die Entwicklung des menschlichenBewusstseins und beschrieb die in allen Kulturen relativ identischen Strukturelemente des kollektiven Unterbewusstseins, die als Archetypen auch das individuelle Verhalten prägen. Und zwar viel mehr, als es unser aufgeklärtes Weltbild als homo rationalicus gern wahrhaben möchte. Aber
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