Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
Vom Netzwerk:
sich infolge politischer und wirtschaftlicher Veränderungen die soziale Stimmung verschlechtert. Die Menschen erleben eine dauerhafte und eigentümliche Spannung zwischen dem Wollen nach Leistung und Ärmel-Hochkrempeln einerseits und der Suche nach Sicherheit und Vertrautem andererseits. Diese psychologisch wechselhafte Stimmungslage benötigt auf keinen Fall Düfte, die Spannung beschreiben. Der Verbraucher sucht Düfte, die pampern, relaxen oder vitalisieren. Fruchtnoten k ommen diesen Bedürfnissen entgegen. Sie sind unkompliziert, erinnern an Sommer, Sonne, Urlaub und sind wie Kinderdüfte: sauber, rein und unverfälscht. Fruchtnoten passen als Stimmungsmacher sehr gut in unsere schwierige Zeit.“
    So weit das Zitat von der Homepage des weltweit größten Lieferanten von Aromastoffen. Und ganz genau so funktionieren die modernen, die erfolgreichen Weine: Rheinweine schmecken wie Fruchtsalat, Nebbiolos nach Marmelade und Sangiovese-Weine nach süßem Glyzerin. Aus Cabernets werden Softdrinks und aus Syrah Schokoladensirup. Die komplexe Mineralität von Rhein und Mosel, die ungebärdige Wildheit der Rhône, die Animalität des Bordeaux, die provozierende Adstringenz des Barolo – geopfert auf dem Altar der Globalisierung. Muttermilch für das verunsicherte Individuum.
    Wer die Entwicklung verpennt, wie zum Beispiel der Süden Frankreichs, der ist der loser am Markt und wird von der Europäischen Gemeinschaft destilliert. By the way : Der Sprit, mit dem die öffentlichen Omnibusse in São Paulo durch die Stadt gurken, stammt zum Teil aus destillierten Übermengen rheinland-pfälzischen Weins.
    Bedingt durch die großen Unterschiede der Ernährungsgewohnheiten unterschiedlicher Kulturen, so wird auf Managerschulungen im Fast-Food-Bereich postuliert, ist es zur erfolgreichen globalen Vermarktung von Nahrungsmitteln und Getränken an Erwachsene notwendig, durch gezielte Werbung den auf der ganzen Welt gleichen Kindergeschmack in der Erwachsenenwelt populär werden zu lassen. Es klappt. Coca-Cola und McDonalds haben es bewiesen. Süß und soft, das mag das Kind. Amerikanische Psychologen interpretieren gar das gerundete M im McDonalds-Logo als stilisierte Abbildung weiblicher Brüste. Ob sich wirklich jemand aus der Werbeabteilung so viel Gedanken gemacht hat oder nicht, es passt jedenfalls.Nicht wie die Faust aufs Auge – diese Reaktion muss man sich leider verkneifen –, sondern wie der Geschmack amerikanischer Eiche im Rotwein.
    Schön süß und fett. Ab in die Oralphase, von wegen erwachsen, von wegen Bewusstsein! Da kommen einem doch die 68 er-Jahre in den Sinn und die Kritik am Konsumterror, der die Menschen entmündigt.
    Dabei hat der Wein nicht nur eine bewusstseinsstärkende Wirkung, er ist sogar wahrscheinlich an der Entstehung von Bewusstsein wesentlich beteiligt. Und ein wenig Rausch, ein wenig Zurück in die Triebwelt, ein wenig Ich-Verlust und Verbrüder- und Verschwisterung mit der Gruppe tut ja manchmal auch ganz gut. Doch wenn im Herzen der nächtlich sternflammenden Königin wieder mal so richtig die Rache kocht und sie mit Alkohol zuschlägt …
    Betrunken sein ist immer mit der Blamage verbunden, das Menschliche verloren zu haben, zurückgefallen zu sein auf eine animalische, auf eine im subjektiven Empfinden minderwertige Stufe. Ältestes Beispiel dafür ist der erste Winzer der Welt, der Herr Noah aus dem Alten Testament. Nach der göttlichen Rettung aus der Sintflut wurde er im zarten Alter von sechshundert Jahren Ackerbauer und Winzer und, wie wir in Genesis 9 , 21 nachlesen können, scheint er sich von der ersten Ernte erst einmal so richtig einen gegeben zu haben:
    Er trank von dem Wein, wurde davon betrunken und lag entblößt in seinem Zelt.
    Dass sein Sohn Ham ihn dort so liegen sah, hat ihn – wieder nüchtern geworden – derart in Rage gebracht, dass er mit seiner Scham und Wut nicht anders umzugehen wusste, als dem armen Kind dieSchuld an der Situation zu geben, ihn und seine Nachkommen bis in alle Ewigkeit zu verfluchen und ihnen ein Dasein als minderwertige Knechte anzuhängen. Die beiden guten Söhne, die so getan haben, als sei nix, und ihrem Vater – „sie hatten ihr Gesicht abgewandt und konnten die Blöße des Vaters nicht sehen“ – eine Decke überwarfen, wurden gut belohnt.
    Kommt einem doch irgendwie bekannt vor, die Geschichte mit den Nestbeschmutzern. Wie, der Chef soll Alkoholprobleme haben? Der Whisky? Ist doch nur, weil es heute Morgen wieder so kalt ist, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher