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Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition)
Autoren: Dirk Kaesler
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I Einleitung.
Das Leben eines Nachgeborenen
    Max Weber (1864–1920) zählt heute sicher zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Aber in welcher Beziehung steht das Denkmal zum historisch konkreten Weber? Nicht selten dient sein Werk nur noch als Steinbruch für Zitate und Stichworte. Max Weber wird als ein «Klassiker» der Soziologie gesehen, wenn nicht sogar als DER Klassiker schlechthin. Doch: Er war kein Soziologe im heutigen Verständnis dieser wissenschaftlichen Disziplin. Weder sein eigentliches Anliegen einer «Sozialökonomik» in komparativ-universalhistorischer Absicht noch sein Entwurf einer «Verstehenden Soziologie» wurden konsensfähige Programme der modernen Fachsoziologie. Sein Selbstverständnis als das eines universalgebildeten Gelehrten, der sich politisch beratend und publizistisch kommentierend zu engagieren suchte, wird heute als anachronistisch belächelt. Sein Verständnis von Wissenschaft und Universität als den letzten, schon zu seiner Zeit massiv bedrohten Revieren bürgerlicher Freiheiten und individueller Selbsterziehung wird heute als Relikt vergangener Zeiten verächtlich gemacht. Max Weber war nicht unser Zeitgenosse. Wer sich Leben und Werk dieses Menschen annähert, muss sich klar darüber werden, wie viel uns von diesem deutschen Bürger trennt, der den Übergang des 19. Jahrhunderts in das 20. Jahrhundert erlebte, bedachte und ein klein wenig mitgestaltete. Sein Leben und Schaffen stand unter dem Diktat seiner Selbst- und Geschichtsinterpretation als eines Epigonen, eines Nachgeborenen, den vier Rahmungen bestimmten: das Königreich Preußen, das deutsche Bürgertum, der allmählich fortschreitende Kapitalismus, die alles zunehmend beherrschende Bürokratie.
    Der Aufstieg des Königreichs Preußen an die Spitze des von ihm selbst herbeigezwungenen Deutschen Kaiserreichs (1871–1918) und beider Sturz in die (relative) Bedeutungslosigkeit prägten nicht nur den Verlauf des Lebens von Max Weber. Das immer leicht Überanstrengte, das sich bei der Ausdehnung preußischer Herrschaft zeigte, im verbissenen Bestreben, als «Großmacht» respektiert zu werden, spiegelte sich auch wider bei dieser – wenn auch zuweilen ein wenig stotternden – Ein-Mann-Wissenschaftsmaschine, zu der Max Weber sich selbst machte. Die Themen Preußens sind auch die Themen Webers: die ewig schwärende Diskrepanz der übermächtigen herrschaftlichen Stellung des preußischen Adels, dem der Fürstenstaat zwar die Autonomie nimmt, der sich aber weder auf dem flachen Land noch aus den Schaltstellen der politisch-administrativen und militärischen Herrschaft verdrängen lässt. Und dem es vor allem gelingt, seine spezifischen Wertvorstellungen zum allgemeinen Ethos und zu den Pflichtvorstellungen der Militärmaschine, des gesamten Staatsapparates und der bürgerlichen Gesellschaft werden zu lassen. Der Mythos der preußischen Bürokratie, die als unparteiisch und überlegen effizient verklärt wird, ist einer, in dessen Bann Weber aufwächst und an dessen Perpetuierung und Dämonisierung durch soziologische Begriffs- und Theoriebildung er mitwirkt. Die spezifisch preußische Amalgamierung von Thron und Altar in Form des staatskirchlichen Protestantismus zu einer Kirche, die durch ihre Heilsfunktionäre die gottgegebene Obrigkeit überhöht, steckte den Rahmen ab für die religiöse Erziehung Webers, ungeachtet aller Versuche seitens seiner Mutter, diese in eine reformierte, innerliche Richtung zu lenken. Die wissenschaftliche Erforschung ebensolcher Rahmungen des Lebens von Menschen durch als religiös definierte Ordnungsvorstellungen sollte eines der großen Lebensthemen des forschenden Individuums Weber werden.
    Mit dem doppelten Gesicht Preußens eng verflochten sind auch die politischen Positionen Max Webers. Das Königreich Preußen seiner Zeit war ein Rechtsstaat, aber keine Demokratie, und Weber wollte beides, zumindest einen größeren politischen Einfluss des Parlaments. Er träumte von einer Synthese des rechtsstaatlichen Preußen mit dem demokratischen, oder besser: republikanischen England. Was ihm dabei nicht vorstellbar sein konnte, war die Tatsache, dass ein Rechtsstaat nur dann funktioniert, wenn es eine soziale Ordnung gibt, in der die moralische Integrität seiner Träger intakt ist: der aufgeklärte König, die selbstlosen Generäle, das dienende Beamtentum, alles auf der Grundlage aristokratischer Werte. Wenn diese Ordnung in die Hände moralloser Führer fällt, dann
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