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Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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die Zivilisation garantiert. Wenn nicht, das Gegenteil.
    Die Unterdrückung der homoerotischen Lust des Mannes, das Feuer auszupinkeln und es stattdessen für die Menschheit nutzbar zu machen, ist für Sigmund Freud Ursprung aller Zivilisation. Na ja. Es ist ja irgendwie schwer vorstellbar, das Feuer draußen in der Steppe nach einem Blitzschlag, oder warum es auch immer aufloderte, auszupinkeln. Und dann auch noch mit homoerotischer Lust. Aber wenn manes metaphorisch nimmt, hat Freud ja gar nicht so unrecht: Wer vor lauter Gier die Trauben auffrisst, statt abzuwarten, bis Wein daraus wird …
    Welcher Theorie wir uns auch immer zugeneigt fühlen, die Freiheit, zwischen verschiedenen Denkmodellen auswählen oder diese kombinieren zu können, ist jedenfalls eine enorme zivilisatorische Leistung.
    Wein, seine Entstehung und seine Geschichte lassen sich jedenfalls prima in allen drei Denkmodellen darstellen. Beginnen wir mit den Göttern. Ohne deren klare Anweisung hätte das Ding mit dem wohlschmeckenden Wein wohl nie geklappt. Stellen wir uns nur einmal vor, Dionysos, der chaotische, versoffene, immer nur an das eine denkende Gott des Weins, der in der Götterwelt des alten Griechenlands jeweils zur Winterszeit dominierte, hätte sein Zepter nicht immer im Frühjahr an seinen Gegenspieler, den vernünftigen Apollon, abgeben müssen. Was für ein Glück, dass die Forderung, ihn zukünftig das ganze Jahr über zu verehren – überliefert in einem Hymnos aus dem Jahres 340 / 39 vor Christus aus Delphi – vor dem Orakel keine Gnade fand. Das ganze Land wäre im Suff untergegangen. So konnte der gestrenge Apollon zumindest im Sommer seine Kandidaten zur Räson rufen. Nicht nur zum Schrubben der Amphoren. Mit Verstand und Weitblick wurden Weinberge angelegt und gepflegt. Fairerweise müssen wir zugestehen, dass sogar Dionysos dabei behilflich war. Zumindest für seine Kindheit – klar, da war der Durst noch nicht so groß – ist das überliefert. Da die betrogene Gattin Juno stinksauer war und dem Kleinen nach dem Leben trachtete, hatte der gute Zeus sein uneheliches Kind sicherheitshalber in einen Ziegenbock verwandelt und zu Pflegeeltern auf die Erde geschickt. Und als junges Böcklein mit viel Appetit sorgte Dionysos im nahe gelegenen Weinberg für einen rigorosen Rebschnitt und damit für die erste verbriefte grüne Lese. In der Folgezeit machten die Qualitäten des griechischen Weins enorme Sprünge nach oben. Die Erntemengen ebenfalls. Und ohne seine traditionelle rituelle Bedeutung zu verlieren, entwickelte sich Wein zu einem Volksgetränk und einem gewinnträchtigen Handelsgut.
    Was wäre der moderne Weinbau ohne große Visionäre wie den Abt Bernhard von Clairvaux oder Wissenschaftler wie Louis Pasteur? Wobei „modern“ hier nicht nur lebensmitteltechnologisch, sondern auch als wertvoller Beitrag zur Terroirbewegung zu sehen ist. Dem Zisterzienserorden verdanken wir nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse über Rebschnitt und Weinbereitung, sondern vor allem auch die Idee des Bodens als der elementaren Basis von Wein. Überlieferungen zufolge haben die Mönche die Weinbergsböden sogar geschmacklich überprüft. Erde wurde mit sauberem Wasser aufgerührt, eine bestimmte Zeit lang ziehen lassen, abgeseiht und dann verkostet. Und der Geschmack des Wassers lieferte wertvolle Informationen zur Bonitierung der Weinberge.
    Doch nicht nur in Burgund, wo sie viele Weinberge definierten und unter anderem den legendären Clos de Vougeot anlegten, ist ihr Erbe heute noch lebendig. Den Mönchen der Zisterzienser verdanken wir den Grand Cru Dézalay im Schweizer Kanton Waadt genauso wie die Ersten Lagen des Klosters Eberbach im Rheingau und viele andere traditionsreiche Weinberge, auch in Kroatien, Österreich und Ungarn.
    Die önologische Avantgarde der ganzen Welt verneigt sich in Ehrfurcht vor den großen Terroirwinzern des Mittelalters. Und das vinophile Motto der frommen Zisterzienser „Schenkst du guten ein, schaust du Gott im Wein“ findet nach wie vor auch bei Heidenkindern begeisterten Anklang.
    Louis Pasteur, das zweite Beispiel für eine große Persönlichkeit in der Welt des Weins, hat als Wissenschaftler des 19 . Jahrhunderts Grundsätzliches zum Verständnis von Mikroorganismen und damit zur modernen Hygiene und der Haltbarkeit des Weins beigetragen. Wenn auch das Pasteurisieren von Lebensmitteln durch die Tiefkühltechnik weitgehend abgelöst wurde, beim Wein wird es gerade wieder en vogue. Da die
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