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Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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Überlebenstricks der Menschen scheint darin zu bestehen, sich mehr an die guten als an die schlimmen Dinge zu erinnern. Auch was unsere Erfahrungen mit der Natur angeht. Wir erfreuen uns an der güldenen, wärmenden Sonne und lassen uns vom putzigen Braunbären bezirzen. Im Baum sehen wir die heilige Esche Yggdrasil, die mit ihrer Dreiteilung in Wurzel, Stamm und Krone als Symbol steht für den Menschen in seiner Stellung zwischen Erde und Kosmos. Die Natur ist gut, und als große, runde Mutter Erde nährt und schützt sie uns. Und die Katastrophen, die wir in sicherer Entfernung aus dem Fernsehsessel betrachten, haben die bösen Menschen zu verantworten. Die Überschwemmung kommt vom CO 2 -Ausstoß der Chinesen, und das aggressive Verhalten des Bären kommt von seinem Kindheitstrauma, als der Bub miterleben musste, wie der böse Jäger seinen Vater erschoss.
    Die Natur ist gut. Was für ein menschenverachtender Satz angesichts der unzähligen Menschen, die durch Naturkatastrophen und Krankheiten starben und weiterhin jährlich sterben!
    Ob es sinnvoll ist, die Natur mit moralischen Begriffen wie gut und böse zu belegen? Wenn, dann ist sie jedenfalls beides. Sie spendet Leben im gleichen Maße, wie sie es auch vernichtet. Den Geist, das Bewusstsein, hat die Menschheit seit Anbeginn als das Vehikel begriffen, sich aus den Klauen der launigen, unberechenbaren Natur zu emanzipieren. Aber es hat lange, lange Jahrhunderte gedauert, sichaus dem Herrschaftsbereich von blutrünstigen Göttern wie der indischen Kali halbwegs zu befreien und ihr zumindest nicht mehr Menschen, sondern nur noch Tiere zu opfern.
    Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen,
Tod und Verzweiflung flammet um mich her!
    So singt die „nächtlich sternflammende Königin“ in Mozarts Zauberflöte , bevor sie durch die Mächte der Vernunft bezwungen wird.
    Von der Kontrolle des Feuers bis hin zum Penizillin, von der Antibabypille bis zum Wolkenkratzer: Die Industrialisierung mit dem vermeintlichen Sieg des Menschen über die Natur hat zu dem geführt, was wir heute als patriarchalen Größenwahn erleben. Der blinde Glaube an die Zukunft, an die Wirtschaft, an die Beherrschbarkeit der Welt. Die Gegenbewegung formiert sich seit Jahren als Frauenbewegung und Ökobewegung. Und nach dem Bankrott der sozialistischen Utopien kämpfen auch viele ehemalige Linke nicht mehr gegen den Kapitalismus, sondern gegen die drohende Klimakatastrophe. Es scheint, als gäbe es keine Klassen mehr, sondern nur noch steigende Meeresspiegel. Alle diese Bewegungen sind zum großen Teil rückwärts gerichtet. Zum Matriarchat, zu vorindustriellen Produktionsweisen, zur vermeintlich unentfremdeten Arbeit, zum Einswerden mit der Natur. Und sie sind meist unglaublich naiv-infantil verbunden mit einer Projektion des Guten in die Natur.
    Das ist verständlich, aber gefährlich. Nicht nur, weil wir uns wie beim modernen Ablasshandel mit CO 2 -Zertifikaten von geschickten Geschäftemachern Geld aus der Tasche ziehen lassen. Das wirklich Bedrohliche scheint die fortschreitende Regression, das zunehmende Hirnausschalten, der Verlust an Kultur.
    Auch beim Wein.
    „Es gibt einen geerbten und einen gelernten Geschmack“, sagte einmal ein berühmter Winzer aus Kalifornien. „Wir aus der Neuen Welt sind mit unseren Weinen so erfolgreich, weil unsere Vinifikation ganz auf den geerbten Geschmack abzielt.“ Klar, schon als Jäger und Sammler haben wir den Unterschied zwischen reifen und unreifen Früchten gelernt. Instinktiv und ernährungsphysiologisch völlig richtig wird die süße Frucht als reif und gut assoziiert. Wer mag schon sauer oder bitter? Kinder nicht. Aber Erwachsene! Mit dem Verlassen der infantilen Welt süßer Milch, Breie und Früchte lernen wir, mit differenzierten Aromen umzugehen und entwickeln „Geschmack“. Dabei ist es gar nicht notwendig, den Schnuller des Babys ab und zu in den Wein zu tauchen, wie dies in Winzerfamilien üblich ist. Allein die Neugierde und die Entdeckerlust verleiten uns Menschen, wenn es die sozioökonomischen Umstände denn erlauben, nach spannenden Geschmacksnuancen zu suchen und die Vielfalt schätzen zu lernen. Dies findet in allen Kulturen statt und mündet bei unterschiedlichen Klimaten und Ressourcen in einer unglaublichen kulinarischen Vielfalt. Oder müsste dieser Satz heute schon in der Vergangenheit formuliert werden?
    Der Einsatz fruchtiger Noten hat in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung genommen. In den 90 er-Jahren hat
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