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Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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Tänzchen üben,
sofern die allzu glühende Hitze Stunden schenkt,
die nicht des Menschen Tun und Treiben stört.
Dann tanzen die Nymphen in ihren Fluten
und treiben ihr Spielchen, und dümpeln die Satyrn
wohl unter das Wasser und gleiten behände
den plumpen Schwimmern mitten aus den Händen weg,
dieweil noch jene betrogen die glitschigen Glieder erhaschen und doch nur blankes Nass
statt einer schönen Maid in ihren Armen drücken.
    So weit Decimius Magnus Ausonius, Erzieher des späteren römischen Kaisers Gratian am Hof in Trier. Sein berühmtes Gedicht in Hexametern, die Mosella , verfasste der in Bordeaux geborene studierte Rhetoriker um das Jahr 371 nach Christus. Es ist das älteste bekannte Poem über die Mosel.
    Die auditive Phase scheint sehr eng mit der Bewusstseinsentwicklung der Menschen verknüpft zu sein. In fast allen Zeugnissen des Übergangs der alten matriarchalischen Kulturen zum Patriarchat finden sich die „Stimmen der Götter“. „Am Anfang war das Wort“, steht in der Bibel. Nur wenn man richtig gehört, wenn man „verstanden“ hat, kann sich „Verstand“ entwickeln.
    Wenn wir heute bei Neugeborenen feststellen, dass sich der Säugling den Weg zur Mutterbrust „erriecht“, werden wir an die älteste der drei Repräsentationsebenen erinnert. Fühlen und schmecken (was exakt genommen ja ein Riechen ist) war für unsere Vorfahren die dominierende Sinneserfahrung – Auswahl der Nahrung, Zugehörigkeit zur Familie, zur Gruppe. Diese Orientierung und die Sicherheit durch den Geruchssinn, der schon den Reptilien das Überleben sicherte, ist, wie wir nachweisen können, auch heute noch vorhanden und prägt unser Sozialverhalten weit mehr, als wir wahrhaben wollen. Es ist kaum zu glauben, aber gut fünf Prozent unserer Gene sind für den Geruchssinn verantwortlich! Einige davon sind zwar, da Riechen immer mehr an Bedeutung verliert, mittlerweile durch Mutationen verkümmert. Aber trotzdem: Wenn wir heute feststellen, in welch großer Verdünnung einzelne Moleküle noch gerochen werden, stellt dies die „Messgenauigkeit“ des Auges weit in den Schatten. Denn selbst bei Fachleuten werden zum Beispiel zehn Prozent Abweichung bei der Wellenlänge der Farbe Rot nicht signifikant wahrgenommen.
    Problematisch wird es nur dann, wenn wir uns des Riechens bewusst werden wollen und dabei unseren Sinneseindruck sprachlich auszudrücken versuchen. Da die Dominanz des Riechens aus einer vorsprachlichen Entwicklungsperiode stammt, ist dies im Prinzip unmöglich. Die sprachlichen Krücken, die wir zur Kommunikation von Geschmack bei Wein benutzen, geben davon ein beredtes Zeugnis. Im Grunde ist es doch lächerlich, wenn wir einem Wein den Geschmack von Pfirsich und Mango zuordnen. Das wäre, wie wenn uns bei der Beschreibung eines Bildes von Picasso nichts anderes einfiele, als dass es uns an ein Bild von Magritte erinnert. Und bei der Beschreibung des Geschmacks von Pfirsichen sagen wir dann, sie schmecken nach Wein …
    Die auditive Repräsentationsebene ist näher am Geschmack. Hier wird die Welt nicht außen, sondern im Inneren wahrgenommen. Während das Objekt auf der visuellen Ebene vom Betrachter entfernt bleibt, dringt es beim Hören als Schwingung in den Körper ein. Beim Schmecken geht das noch eine Stufe weiter. Das gesamte Objekt dringt nicht nur in den Körper ein, sondern es verschmilzt letztlich mit ihm. Es ist dies die ursprünglichste, archaischste Rezeption von Welt. Irgendwann sind wir das, was wir gegessen haben, sind wir der Wein, den wir getrunken haben.
    Wo die objektive Bildersprache versagt, erlauben uns Metaphern aus der auditiven Welt, die sprachlose, archaische Welt des Geschmacks zu beschreiben. Unter einer Weinbeschreibung wie „stark fraktionierter Wein mit übertriebenem Holzeinsatz und scharfem Alkoholabgang“ kann sich nur ein Insider etwas vorstellen. Da klingt „extrem unharmonisch, wie heavy metal“ doch wesentlich verständlicher. Und wie unnütz sind Analysedaten und statistisch abgesicherte Aromenprofile, wenn uns ein gereifter Grand Cru Altenberg von Jean-Michel Deiss in eine Kathedrale mit gregorianischem Chorgesang entführt.
    Mother Nature’s Son . Wenn wir eine passive Rolle einnehmen, mit den Augen nach innen schauen, wenn wir still werden, uns öffnen und einfach nur zulassen, dann können wir ihn spüren: den Sound des Weins.

3
D ER H ÖLLE R ACHE KOCHT IN MEINEM H ERZEN
    Arie der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte
    Einer der praktischen
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