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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Autoren: Anonymer Verfasser
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verdienst, so bist du nicht unschuldig.« »Ich bin unschuldig«, versetzte der Sklave, »und verdiene dennoch den Tod. Deine Hoheit wird sich selbst davon überzeugen können, wenn sie mir erlaubt, ihr meine Geschichte zu erzählen.« »Sprich,« erwiderte der König, »ich bin bereit, dich anzuhören.«
    »O mein Herr,« hub der Sklave an, »ich bin in Bagdad geboren. Ich diente dort einem Jüngling, der Schneider gewesen war und einen Khwadschah beerbt hatte. Dieser Jüngling war sehr schönen Wuchses, und was sein Gesicht angeht, so will ich dir gestehen, o mein Herr, daß es dem deiner Hoheit aufs genaueste glich; in meinem ganzen Leben habe ich noch keine so vollkommene Ähnlichkeit gesehen. Der nun hatte ein Weib von seltener Schönheit, das er sehr liebte; und sicherlich hätte er sie glücklich gemacht, wenn sie vernünftig gewesen wäre; aber das war sie nicht, denn eines Tages sagte sie mir unter vier Augen, sie hätte eine Neigung zu mir gefaßt, und wenn ich sie entführenwollte, so könnten wir beide den Weg nach Bassorah einschlagen. ›Dort werden wir herrlich und in Freuden leben,‹ fügte sie hinzu, ›denn wir werden all mein Gold und meine Edelsteine mitnehmen.‹ ›Nein, o meine Herrin,‹ erwiderte ich, ›ich kann mich nicht dazu entschließen, meine Pflicht zu verletzen und die Ehre meines Herrn zu vernichten.‹ Sie spottete meines Widerspruchs und wußte meine Bedenken schließlich durch ihre Liebkosungen zu überwinden. Und als wir soweit waren, handelte es sich nur noch darum, unsern Plan so auszuführen, daß niemand etwas davon merkte, und daß der Gatte nicht später erfahren könnte, was aus uns geworden war.
    Zu diesem Zweck nahm die Herrin eines Tages, als er sich in der Stadt vergnügte, und wir wußten, daß er erst sehr spät nach Hause kommen würde, all ihre Diener beiseite und sprach, indem sie einem jeden eine Handvoll Gold gab, zu dem einen: ›Geh du nach Damaskus in Syrien und hole mir Kohl und Henna, denn beides ist dort am besten zu haben. Und du‹, fuhr sie, zu einem andern gewandt, fort, ›geh nach Mekka und erfülle ein Gelübde, das ich getan habe, nämlich das, einen Pilgerzug dorthin zu schicken.‹ Kurz, sie gab ihnen allen Aufträge, die ganze Jahre in Anspruch nahmen, und ließ sie auf der Stelle aufbrechen. Und als wir beide allein zurückgeblieben waren, beluden wir uns mit allem, was groß war an Wert und doch nicht beschwert, und zogen mit Einbruch der Nacht davon; die Tür verschlossen wir, und dann schlugen wir den Weg nach Bassorah ein.
    Ohne haltzumachen, zogen wir die ganze Nacht hindurch und auch noch die Hälfte des folgenden Tages dahin. Als aber die Herrin von Müdigkeit übermannt war, setztenwir uns am Rande eines Teiches, wo wir vor uns einen prunkvollen Palast erblickten. Wir sahen ihn uns aufmerksam an, und wir sagten uns, daß er einem großen Fürsten gehören müßte. Da sahen wir, wie ein Jüngling mit dem Gefolge mehrerer Diener daraus hervorkam, von denen zwei auf ihren Schultern Netze trugen. Da sie geradeswegs auf den Teich zukamen, standen wir auf, um uns zurückzuziehen; aber der Jüngling, dessen Blicke die Herrin bereits auf sich gelenkt hatte, eilte uns nach. Und als er sie grüßte, gab sie ihm seinen Gruß zurück. Da er nun an ihrem Aussehen erkannte, wie sehr sie der Ruhe bedürftig war, bot er ihr seinen Palast an, indem er sagte, er sei der Prinz Guajas al-Din Mahmud, der Neffe des Königs von Bassorah. Sie schlug alsbald ihren Schleier zurück und enthüllte ihm ihr Gesicht, um dem Prinzen zu zeigen, daß sie seine Aufmerksamkeit gar wohl verdiente. Sie nahm seine Einladung an, und mir war, als betrachtete sie ihn mit Vergnügen. Zugleich aber merkte ich auch, daß sie auf ihn einen großen Eindruck gemacht hatte, und ich sah in dieser Begegnung ein schlimmes Zeichen, und nicht zu Unrecht fürchtete ich ihre Folgen. Mahmud vergaß, daß er gekommen war, um sich mit dem Fischfang zu vergnügen, und dachte nur noch an die Herrin. Er führte sie in den Palast und ließ sie in ein prunkvolles Gemach eintreten, wo sie sich auf ein Lager setzte; und als der Prinz sich neben sie gesetzt hatte, begannen sie, sich flüsternd miteinander zu unterhalten, und ihre Unterhaltung dauerte so lange, bis ein Diener kam, um seinem Herrn zu melden, daß die Mahlzeit bereitet wäre. Da nahm Mahmud die Herrin bei der Hand und führte sie in einen Saal, wo für drei Gäste gedeckt war; und ferner stand dort ein Tisch mit Bechern und Krügen aus
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