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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Autoren: Anonymer Verfasser
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dich auf den Thron deiner Väter zu erheben.« Malik al-Nasir dankte dem Schneider für seinen Eifer und versprach ihm, sich zur gegebenen Zeit und am rechten Ort seiner zu erinnern; dann aber machten sie sich noch selbigen Tages nach der Stadt Kairo auf den Weg.
    Sowie sie angekommen waren, ließ der Prinz Malik al-Nasir sich anerkennen, und die Großen, die am leidenschaftlichsten dafür gewirkt hatten, ihn dem Throne fernzuhalten, zeigten sich jetzt als die eifrigsten Fürsprecher seiner Krönung. Schließlich wurde er zum Sultan ausgerufen, und er nahm bei seiner Thronbesteigung die Huldigung seiner Beis entgegen.
    Eins der ersten Dinge, an die der König dachte, war die Belohnung des Schneiders. Er ließ ihn berufen und sprach zu ihm: »O mein Vater, denn ich kann dich bei keinem andern Namen nennen, nachdem du mir einen solchen Dienst geleistet hast, ich verdanke dir nicht weniger als dem Sultan Kalaun. Wenn er mir mit dem Leben das Recht gab, ihm auf seinem Throne zu folgen, so hatte mein Unglück mich um eben dieses Recht gebracht, und ohne dich hätte ich es nimmermehr ausüben können. Es ist nur gerecht, daß ich meine Dankbarkeit zeige; und also mache ich dich zum Großwesir.« »O mein Herr,« erwiderte der Schneider, »ich danke deiner Hoheit für die Ehre, die sie mir antun will, und ich flehe dich in aller Demut an, entbinde mich von der Pflicht, diese Ehre anzunehmen; ich bin nicht zum Großwesir geboren. Ein solches Amt verlangt Gaben, die ich nicht habe. Du ziehst nur das Wohlwollen zu Rate, das du mir entgegenbringst, und bedenkst nicht, daß ich keineswegs zum Minister tauge. Wenn das Unglück wollte, daß sich die Angelegenheiten deines Königreiches zum Schlimmen wendeten, so würden mir all deine Völker fluchen, und zugleich würden sie dich tadeln, dieweil du aus einem guten Schneider einen schlechten Minister machtest. Ich bin nicht ehrgeizig genug, um ein hohes Amt ausfüllen zu wollen, das ich nicht verwalten darf. Wenn deineHoheit mir Gutes erweisen möchte, so möge sie es tun, ohne die Ruhe und das Glück ihrer Untertanen aufs Spiel zu setzen; befiehl, o mein Herr, daß ich allein das Vorrecht haben soll, für dich und deinen ganzen Hof die Kleider herzustellen. Lieber, o mein Herr, will ich Schneider bleiben, als dein höchster Minister werden, denn ein jeder muß das Gewerbe, das er treibt, verstehen.« Der König war zu verständig, um nicht einzusehen, daß der Schneider recht hatte, wenn er es ablehnte, sein Wesir zu werden; doch er überhäufte ihn mit Wohltaten und gab Befehl, daß er allein die Würde eines Hofschneiders bekleiden sollte; und er verbot unter den strengsten Strafen allen andern Schneidern in Kairo, jemals für seine Würdenträger zu arbeiten.
    Der Sultan Malik al-Nasir nun ließ es sich angelegen sein, mit allen Kräften dahin zu wirken, daß die Gesetze beobachtet wurden; denn darum hatte sich sein Bruder, der verstorbene König Malik Aschraf, nur wenig gekümmert. Er machte sich bei all seinen Beis beliebt und machte jeden Augenblick seiner Herrschaft durch irgendeine Tat denkwürdig, die seinem Volke nützlich oder angenehm war. Eines Tages aber kam der Kadi der Stadt und suchte den jungen Herrscher auf. »O unser König,« sprach er zu ihm, »ich habe drei Sklaven verhaften lassen, die beschuldigt werden, einen christlichen Kaufmann ermordet zu haben. Zwei von ihnen haben das Verbrechen eingestanden und die Strafe bereits dahin; aber der dritte setzt mich in Verlegenheit, denn er behauptet, unschuldig zu sein und dennoch den Tod zu verdienen. Nun komme ich, um deine Hoheit zu fragen, was mit diesem Menschen geschehen soll.« »Ich will ihn sehen«, versetzte der König, »und ihn selbst verhören. Diese Worte, die sich selber widersprechen,bedürfen einer Aufklärung, und also führe man ihn auf der Stelle vor.«
    Unverweilt ging der Kadi davon, und als er bald darauf wiederkam, hatte er den Sklaven und den Henker bei sich. Kaum aber hatte der König einen Blick auf den Angeklagten geworfen, so erkannte er in ihm einen der Sklaven, die in Bagdad in seinen Diensten gestanden hatten. Doch er tat, als erkennte er ihn nicht und sprach zu ihm: »Weh dir! Du wirst beschuldigt, einen Menschen getötet zuhaben.« »O mein Herr,« erwiderte der Sklave, »ich bin unschuldig, aber ich verdiene den Tod.« »Wie willst du deine Worte miteinander in Einklang bringen?« fragte der Sultan. »Wenn du unschuldig bist, so verdienst du nicht den Tod; und wenn du den Tod
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