Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition)
Autoren: Manuela Reizel
Vom Netzwerk:
PROLOG
    Realität ist dort, wo der Pizzamann herkommt
.
    Es ist ein harter Schnitt, aus der karibischen Wärme Fernando Poos kommend, in die unwirtliche Realität bundesdeutschen Winters zurückgeworfen zu werden, und der abrupte Klimawechsel ließ mich frösteln.
    Seit dem Morgen hatte es in Strömen gegossen. Die kleinen Rinnsale matschigbrauner Flüssigkeit, die sich zwischen den Holzkreuzen und Natursteinblöcken den Hang hinabschlängelten, waren bereits zu Bächen angeschwollen. In der einbrechenden Dämmerung mischte sich das Murmeln des Wassers mit dem gedämpft aus dem Westen heraufziehenden gleichförmigen Rauschen des Feierabendverkehrs, unterbrochen nur vom vereinzelten Aufheulen einer Hupe, das sich sogleich über der Stadt verlor. Zwischen den Bäumen hindurch konnte ich sie tief unter mir spüren: eigenwillige Kleinbürgermetropole, doch nicht ohne spröden Charme. Als hätte ein sanfter Riese sie sorgsam in eine Mulde gebettet, um sie zu schützen. Ein Stück weiter abwärts verdichteten sich die Eindrücke grauer Fassaden und roter Ziegel zur Gewissheit, hier im oberen Teil des weitläufigen Friedhofs jedoch waren sie nur eine Ahnung.
    Zu Hause gefühlt hatte ich mich an diesem Ort eigentlich nie, auch wenn ich ein bedeutendes Stück meines kurzen Lebens hier verbracht hatte. Umso unvorbereiteter hatte mich die Tatsache getroffen, dass ich mich, kaum hatte ich der süddeutschen Enge den Rücken gekehrt, bereits wieder hierher zurücksehnte. Doch das hatte andere Gründe und spielte nun keine Rolle mehr. Die Würfel waren gefallen.
    Ich warf einen raschen Blick um mich, legte dann lächelnd einen kleinen weißen Origami-Kranich vor mir auf die frisch aufgehäufte Erde. Ich sah zu, wie er im niederprasselnden Regen augenblicklich seine Form verlor, die Flügel in den weichen Boden einsanken, bis er schließlich nur noch ein aufgeweichter Fetzen Papier war.
    Das erneute Aufheulen einer Autohupe ließ mich zusammenzucken. Ich strich mir das Wasser aus dem Haar, setzte die Sonnenbrille ab, steckte sie in die Jackentasche und platzierte die Schaumstoffstöpsel, die Dr. Elvert mir empfohlen hatte, in meinen Ohren. Ein paar Minuten noch blieb ich stehen und blickte auf den Namen, der in das Kreuz eingraviert war. Ich spürte, wie der Regen kühl und sanft über mein Gesicht rann, es zärtlich streichelte.
    Es bestand kein Zweifel daran, dass ich tot war.

GAIA
    Ein Quine ist ein autoreferenzielles Programm
.
    main() {
    print myself out
.
    }

1
    Als Ralf Albin spürte, dass sein Magen unangenehm zu knurren begann, glitt er auf dem mit Rollen versehenen Holzbrett, auf dem er rücklings lag, unter dem VW hervor. Es gab nur eine Hebebühne in der kleinen Werkstatt am Ortsausgang von Büsnau, und die wurde seit dem frühen Morgen von einem silbergrauen Porsche blockiert, an dem der Chef, ein ebenso grauer Mittfünfziger, die Zigarette im Mundwinkel, selbstvergessen herumschraubte. Ralf stand mühsam auf, ärgerte sich ein bisschen über die paar Kilo zu viel über seinem Gürtel und die geschwänzten Schulsportstunden, wischte seine ölverschmierten Hände an einem Lappen ab und wandte sich dem Porsche zu.
    „Ich bin mit dem Passat fast so weit. Muss nur noch die Zündkerzen wechseln, dann mache ich eine Testfahrt. Ist es okay, wenn ich vorher rasch einen Happen essen gehe?“
    Das Grunzen unter der Motorhaube des Porsche als Zustimmung wertend, verließ Ralf die Halle, wusch sich in dem angrenzenden engen und muffig nach kaltem Rauch riechenden Büro die Hände und trat dann aufatmend in den kalten Vormittag hinaus.
    Es war keineswegs so, dass ihm seine Arbeit keinen Spaß gemacht hätte – im Gegenteil – nur eben nicht mit leerem Magen! Er ließ seinen Wagen, der vor dem Werkstatttor geparkt war, stehen und machte sich, leise vor sich hin pfeifend, zu Fuß auf den Weg zu der wenige Straßen entfernt gelegenen Pizzeria, in der er gewöhnlich seine Mittagspause verbrachte. Normalerweise fuhr er nicht mit dem Wagen zur Arbeit, denn seine kleine Dachwohnung lag zu Fuß nur zehn Minuten entfernt. Doch er hatte vor, nach Feierabend noch ein paar Schönheitsreparaturen an seinem betagten Opel in Angriff zu nehmen, und später wollte er dann sofort zu Luke in die Stadt hinunterfahren.
    Es war Freitag. Sie würden am „Palast der Republik“ ein paar Drinks nehmen und danach ins „Perkins Park“ oder „City Department“ gehen, bis sie dort rausfliegen würden. Jedenfalls hatte er nicht vor, vor fünf Uhr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher