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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana
Autoren: M Cruz Smith
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Tatjanas spanische Pistole, so nützlich wie ein Blasrohr im Wind.
    Das Problem war die Geselligkeit der Vogelbeobachter, die einander verfolgten, um sich bestätigen zu lassen, ob ihre Sichtung ein Haubentaucher, eine Eiderente oder eine Gans war, oder um ihre lebenslang geführten Listen der Vögel zu vergleichen, die sie entdeckt hatten.
    Er wusste nicht, was er zu sehen hoffte. Er wusste nicht, wie er den Mörder identifizieren sollte. Sie hatten sich am selben Strand getroffen, aber es war abends gewesen. Arkadi hatte in die Scheinwerfer eines Kastenwagens gestarrt, und der Fahrer hatte kein Wort gesprochen.
    Als der Wind auffrischte, trotteten die Vogelbeobachter nach Hause. Unter dem Dachsims von Tatjanas Hütte stieß Arkadi auf eine Gruppe, in der eine Flasche Weinbrand herumgereicht wurde. Iwan, Nikita, Wanda, Boris, Lena. Alle gaben an, über tausend Vogelarten auf ihren Lebenslisten zu haben, fünfzig allein von der Nehrung.
    »Aber diese Bedingungen sind unmöglich«, sagte Nikita. »Bei dem Gegenwind und dem Sand.«
    Lena stimmte zu. »Da klappern dir ja die Zähne. Wenn es keinen Spaß macht, was soll’s dann?«
    Arkadi fiel ein Notizbuch aus der Hand. Als Iwan es auffing, fuhr der Wind durch die Seiten. »Ihre Liste ist ja leer.«
    »Ich fange gerade erst an. Ihr seid alle Freunde oder Kollegen? Seid ihr zusammen zur Nehrung gekommen?«
    »Die meisten von uns«, antwortete Lena.
    »Geteiltes Leid ist halbes Leid.« Boris rieb sich die Hände. Dicke Hände, wie Fleischscheiben.
    »Suchen Sie nach einem bestimmten Vogel?«, fragte Nikita.
    »Weiß ich nicht genau«, erwiderte Arkadi.
    Boris meinte: »Aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass Sie, wenn Sie sich auf einen Vogel konzentrieren, leicht einen besseren verpassen. Ich erinnere mich, dass ich in Mexiko nach einem bestimmten Vogel gesucht habe und dabei fast einen Quetzal verpasste, der, wie man weiß, ein seltener Vogel mit spektakulärem Gefieder ist und den Azteken heilig war. Die Azteken, wissen Sie? Bei denen Menschenopfer ihren größten Höhepunkt erreichten? Sie haben Menschen bei lebendigem Leibe das Herz herausgeschnitten oder sie gehäutet. Gleichzeitig hatten sie eine Kultur von großer Schönheit.«
    Arkadi fand, dass sie ein bisschen weit von der Vogelbeobachtung abschweiften.
    »Ich weiß, was ich suche, wenn ich es sehe«, verkündete er.
    »Dann muss es ja ein ganz besonderer Vogel sein.«
    »Oder ein fliegendes Schwein«, sagte Arkadi.
    Boris’ Augen wurden ausdruckslos, sein Lächeln hätte mit einem Messer eingeritzt sein können.
    Den Rest des Tages beobachtete Arkadi, wie Seeschwalben gegen den Wind ankämpften, sich drehten und kopfüber ins Wasser stürzten. Das war er, nur nicht ins Wasser, sondern in Zement.
    Nachts schwankten die Kiefern, das Seegras wurde vom Wind flach gedrückt. Schließlich brach der Sturm los, der sich die ganze Woche über erwartungsvoll aufgetürmt hatte. Wellen schlugen bis zu den Hüttenstufen hoch, klangen wie die fallenden Säulen eines Tempels. Gleichzeitig überflutete das Haff die Straße hinter der Hütte. Wasser pflügte sich durch den Strand und legte Klumpen goldenen Bernsteins frei.
    Arkadi erwachte und setzte sich auf, und obwohl ihm die Zähne vor Kälte klapperten, wankte er zur Eingangstür und öffnete sie, nur um zu entdecken, dass der Wind sich tatsächlich gelegt hatte und die Wellen ins Meer zurückgekehrt waren.
    Er fragte sich, wie überhaupt jemand zu schlafen wagte. Tatjana war nicht zurückgekommen. Ist auch besser so, dachte er.
    Das Meer wurde ruhig. Wolken teilten sich und enthüllten einen Mond, der auf dem Wasser balancierte. Der Herbst war fast vorbei, und die Vogelbeobachter würden bald verschwinden.
    Arkadi goss sich Pulverkaffee auf und nahm den Schlüsselring und eine Lampe mit in den Schuppen. Was hatte sich Tatjanas Vater doch gewünscht? Ein normales Land? Dieser kleine Schuppen mit den einfachen Werkzeugen musste für den Mann ein Refugium gewesen sein.
    Die Sicherungskabel für die Fahrräder bestanden aus vinylbeschichtetem Stahl mit schweren, durch Vorhängeschlösser verbundenen Ösen, jedes Kabel etwa fünf Meter lang. Nicht lang genug. Arkadi schob die Klappstühle in der Ecke auseinander und befreite sie von zwei weiteren Kabeln. Er wühlte die voll bepackten Borde durch und fand Kabel, die noch in ihren Plastikhüllen steckten. Vielleicht nicht so viele, wie er sich gewünscht hätte, aber sie mussten reichen.
    Denn er würde nahe herankommen
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