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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana
Autoren: M Cruz Smith
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nicht auch erschießen?«
    »Weil wir immer noch aufnehmen.« Mit umständlicher Vorsicht zog Arkadi sein Handy heraus.
    »Ach ja? Tja, vielleicht tun Sie das und vielleicht auch nicht.« Nach einigem Nachdenken ließ Ape die Waffe sinken. »Wie die Dinge stehen, können Sie uns nur dafür belangen, Ihr jämmerliches Leben gerettet zu haben. Verschwinden Sie von hier. Beim nächsten Mal haben Sie vielleicht nicht so viel Glück. Manchmal ist es wichtiger, meinen Jungs eine Lektion zu erteilen, als weitere hundert Millionen Dollar zu verdienen. Wir werden den Champagner für eine andere Gelegenheit aufheben.«
    Als Maxim sich mühsam auf den Ellbogen hochstemmte, drückte ihm Ape seine Waffe in die Hand. »Herzlichen Glückwunsch. Nach der Beweislage haben Sie Ihren ersten Mann erschossen. Das sollte doch etwas sein, was Sie zu einem Gedicht inspiriert.«

33
    S and.
    Arkadi ließ ihn aus seiner Faust auf das Tal ihres Rückens rinnen, und als sie sich umdrehte, ließ Arkadi ihn von ihrem Bauch zur Höhlung ihrer Hüften rinnen, verstreut über ihre Haut wie Salzkristalle. Der Sand rann in jede Spalte, in ihr Haar und in ihre Mundwinkel.
    Wind.
    Ständige Windstöße umspielten die Stufen zur Hütte wie Geister. Laut Tatjana gab es tote Dünen und lebende Dünen.
    Zeit.
    Eine lebende Düne erneuerte sich selbst und wandelte sich von Tag zu Tag. Die gesamte Nehrung bewegte sich wie der Sekundenzeiger einer Uhr.
    »Hast du Sand jemals durch ein Vergrößerungsglas betrachtet?«, fragte Tatjana. »Er besteht aus den unterschiedlichsten Dingen. Quarz, Muscheln, winzigen Skeletten, Wurmröhren, Stacheln, rund und scharf, alt und neu.«
    Die Hütte hatte ihre kleinen Unbequemlichkeiten – die dünne Matratze und der raue Holzboden –, doch die verliehen den Sinnen eine gewisse Schärfe. Tatjanas innere Hitze war Entschädigung für einen kalten Ofen. Die Hütte knarrte so angenehm wie ein uraltes Schiff.
    Ein paar Vogelbeobachter kamen vorbei. Alles in allem gehörte der Strand jedoch Arkadi und Tatjana. Ihre Sandburg.
    Schlaflosigkeit traf mitten in der Nacht ein wie ein verspäteter Gast. Arkadi sah, wie sich eine Laterne durch die Bäume bewegte. Er jagte dem Licht bis zur Straße nach, wo es sich zu schnell bewegte, um ihm folgen zu können. Am Morgen fand er Fußabdrücke rund um die Hütte. Bis Tatjana wach wurde, hatte der Wind die Abdrücke verweht.
    Arkadi sah Tatjana die Straße hinuntergehen, um Funkkontakt für ihr Handy zu bekommen. Das ist wie Eisfischen, dachte er, kein Sport für die Ungeduldigen, aber nach hundert Metern wedelte sie mit dem Arm, und als sie zurückkam, hatte sich ihr Gesicht vor Aufregung gerötet.
    »Ich habe mit Obolenski gesprochen. Er kommt nach Kaliningrad, um eine Sonderausgabe über Russlands korrupteste Stadt zu machen.«
    »Tja, was für eine Ehre.« Arkadi hielt beim Festhämmern eines Verandabretts inne. »Verfasst von dir?«
    »Der Hauptartikel, ja.«
    »Dachte ich mir. Schließlich geschieht es nicht alle Tage, dass seine Lieblingsjournalistin von den Toten aufersteht. Wann?«
    »Das wird ein Schnellschuss. Ich werde einen Tag fort sein, vielleicht zwei. Was meinst du?«
    Zum ersten Mal hörte er einen Anflug von Ängstlichkeit in ihrer Stimme.
    »Ich finde, du solltest es machen.«
    »Ich habe Obolenski gesagt, ich würde es tun.«
    »Du hast das Richtige getan.«
    »Kannst du mitkommen?«
    »Ich werde hier in der Hütte genug zu tun finden.« Arkadi bemühte sich, wie ein Heimwerker zu klingen.
    Er fragte sich, wie es wohl aus der Ferne aussah: ein Mann und eine Frau, die sich über etwas so Unschuldiges wie eine kurzfristige Trennung zu einigen versuchten. Tatsächlich hatte Obolenski ihm sogar einen großen Gefallen getan. Seit Arkadi die Anwesenheit von Piggy spürte, wollte er Tatjana möglichst außer Reichweite haben.
    »Dir macht es also nichts aus«, sagte sie.
    »Ich werde mich schon beschäftigen.«
    Die Nehrung war berühmt für ihre Vogelwelt. Sie war die Heimat von Gänsesingern und Schwänen und gehörte zur Zugstrecke von Adlern und Milanen. Kormorane mit gebogenen Hälsen hockten auf Treibholz, Graureiher staksten im Haff, und Vogelliebhaber mit Kameras saßen stundenlang voller Inbrunst da, um das Bild einer durchweichten Ente festzuhalten.
    Arkadi kleidete sich dem Wetter gemäß in einen Regenumhang mit wetterfester Kappe. Er ging am Strand entlang und kletterte über Dünen, stets bemüht, eine bewegliche Zielscheibe zu sein. Seine einzige Waffe war
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