Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
beiden Frauen eine Weile zusammengelebt. 1973, glaube ich. Damals wohnte ich neben einem Golfplatz. Bei Sonnenuntergang sind wir immer über den Zaun geklettert, um auf dem Gelände umherzuschweifen und liegen gelassene Golfbälle aufzulesen. Die Abenddämmerung im Frühling erinnerte mich an solche Szenen. Wohin sind sie alle entschwunden?
    Eingang und Ausgang.
    Mir fiel die Bar ein, in der ich früher mit dem inzwischen verstorbenen Freund verkehrt hatte. Wir sind dort oft versackt. Im Nachhinein betrachtet, war es die substantiellste Zeit meines bisherigen Lebens gewesen. Komisch. Ich erinnere mich auch an die Musik von damals. Wir waren noch Studenten. Haben dort Bier getrunken, Zigaretten geraucht. Wir brauchten diesen Ort. Um Gespräche zu führen. Worüber wir uns unterhalten haben, weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass wir reichlich Gesprächsstoff hatten.
    Und nun ist er tot.
    Er hatte sich viel aufgehalst und ist dann gestorben.
    Eingang und Ausgang.
    Der Frühling machte sich deutlich bemerkbar. Der Wind roch anders. Sogar die nächtliche Dunkelheit änderte ihre Nuance. Geräusche wechselten ihre Klangfarbe. Der Frühsommer kündigte sich bereits an.
    Ende Mai starb mein Kater. Plötzlich und unerwartet, ohne Vorzeichen. Ich wachte eines Tages auf und fand ihn zusammengekauert in der Küchenecke, tot. Vermutlich hatte er nicht viel gemerkt. Der Kadaver war starr wie ein kaltes Brathähnchen, das Fell wirkte noch schmutziger als zu Lebzeiten. Sein Name war Sardine. Er konnte nicht gerade von sich behaupten, ein glückliches Leben hinter sich zu haben. Von niemandem wirklich geliebt, hatte auch er vermutlich niemanden wirklich geliebt. Wie resigniert er einen immer angeschaut hatte, als wollte er sagen: Was habe ich noch zu verlieren? Solch einen Blick findet man wohl selten bei Katzen. Na ja, nun war er tot. Einmal tot, hat man wenigstens nichts mehr zu verlieren. Das ist der Vorzug am Totsein.
    Ich stopfte den Kadaver in eine SEIBU-Papiertüte, die ich auf dem Rücksitz meines Wagens verstaute, und fuhr zu einer Eisenwarenhandlung, um eine Schaufel zu besorgen. Nach langer Zeit schaltete ich wieder einmal das Radio ein und hörte Rock, während ich westwärts fuhr. Es lief hauptsächlich öde Popmusik: Fleetwood Mac, ABBA, Melissa Manchester, Bee Gees, KC and the Sunshine Band, Donna Summer, Eagles, Boston, Commodores, John Denver, Chicago, Kenny Loggins … Eine Musik wie Schaum, die sich aufplusterte und wieder verschwand. Der reinste Schrott! Müllreife Massenware, um Teenagern ihr bisschen Kleingeld aus der Tasche zu ziehen.
    Plötzlich verspürte ich Wehmut.
    Die Zeiten haben sich eben geändert. Nicht mehr und nicht weniger.
    Ich versuchte mich an hohles Zeug zu erinnern, das wir als Teenager gehört hatten: Nancy Sinatra. Schrott. The Monkees – oh Graus. Selbst Elvis hatte eine Menge Schund fabriziert. Wen gab’s noch? Trini Lopez. Pat Boone. Die meisten Stücke von ihm erinnerten mich an Gesichtsseife. Fabian, Bobby Rydall, Annette. Und nicht zu vergessen: Herman’s Hermits. Eine echte Katastrophe.
    Alles, was mir in den Sinn kam, waren schwachsinnige englische Bands, die wie Pilze aus dem Boden geschossen waren.
    Lange Mähnen und ausgeflippte Klamotten. Welche fallen mir denn noch ein? Honeycombs, Dave Clark Five, Gerry & The Pacemakers, Freddy & The Dreamers und so weiter und so fort.
    Jefferson Airplane – steife Leichen. Tom Jones – wenn ich nur den Namen höre, werde ich starr vor Entsetzen. Engelbert Humperdinck, der hässliche Klon von Tom Jones. Herp Albert & The Tijuana Brass, bei denen jedes Stück nach Kaufhausgedudel klingt. Simon & Garfunkel, die beiden Scheinheiligen. Und Jackson Five, voll neurotisch.
    Alles Mist.
    Es hat sich nichts geändert. Immer und immer wieder das Gleiche. Nur die Jahreszahlen wechseln, und die Interpreten werden ausgetauscht. Solch schwachsinnige Wegwerfmusik gab es zu allen Zeiten und wird es immer geben. So sicher wie der Mond die Gezeiten bestimmt. Völlig gedankenverloren hatte ich bereits eine ziemliche Strecke zurückgelegt. Irgendwann lief Brown Sugar von den Stones. Ich musste lächeln. Supersong. Die Musik taugte was. Brown Sugar – wenn mich nicht alles täuscht, war der Song 1971 in den Hitparaden gewesen. Aber ganz sicher war ich mir da nicht. Könnte auch 1972 gewesen sein. Na ja, ist ja auch egal. Warum versuche ich mich überhaupt so pedantisch an die Jahreszahlen zu erinnern? Spielt doch sowieso keine Rolle.
    Etwas weiter in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher