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1825 - Schreie aus dem Fegefeuer

1825 - Schreie aus dem Fegefeuer

Titel: 1825 - Schreie aus dem Fegefeuer
Autoren: Jason Dark
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»Ist Ihnen nicht gut, junger Mann?«
    Urs zuckte leicht zusammen. »Doch, doch – es ist schon alles okay. Ich habe keine Probleme.«
    »Aber Sie transpirieren so stark. Und das so plötzlich. Praktisch von einem Augenblick zum anderen. Das ist schon ungewöhnlich, möchte ich mal sagen.«
    Das stimmte. Es war ungewöhnlich. Meyer begriff es selbst nicht. Er saß hier im Zug. Er fuhr durch die Schweiz. Er sah eine herrliche Landschaft, wenn er aus dem Fenster schaute, er teilte mit der älteren Frau ein Abteil, und er hätte völlig entspannt sein können, was er aber nicht war.
    Der Schweiß auf seinem Gesicht war vorhanden. Daran gab es nichts zu rütteln, und sein Inneres war auch nicht entspannt. Er saß da wie auf heißen Kohlen und schluckte einige Male, ohne ein Wort zu sagen.
    »Zu warm ist es hier auch nicht«, sagte die Frau.
    »Ja, ja …« Urs Meyer nickte.
    »Haben Sie eine Krankheit?«
    »Nein.«
    »Oder fühlen Sie sich krank?«
    »Auch nicht.« In Urs Meyer stieg allmählich Ärger hoch. Er hatte keine Lust, sich von einer fremden Person ausquetschen zu lassen. Er ärgerte sich ja über sich selbst, und dabei sollte es auch bleiben.
    Aber warum schwitzte er so stark?
    Den Grund konnte er noch immer nicht nennen. Er überlegte auch, ob es sich dabei um eine Vorahnung handelte. Dass er sich vor etwas fürchtete, das noch auf ihn zukommen könnte.
    Aber was?
    Er saß im Zug. Der fuhr auf Schienen durch die Schweizer Berge, und er wusste, dass bald ein langer Tunnel auf den Zug wartete. Als er daran dachte, zuckte er leicht zusammen.
    Tunnel?
    Der lange! Der längste! Der, der die Verbindung zwischen der deutschen und der italienischen Schweiz darstellte. Durch diese Dunkelheit würde der Zug fahren, aber im Wagen selbst würde es nicht dunkel werden. Da brannte das Deckenlicht.
    Es gab also keine Probleme. Die hatte es eigentlich nie gegeben. Eine Fahrt durch den Gotthard war bisher immer glatt über die Bühne gegangen, doch als Urs Meyer daran dachte, überkam ihn schon so etwas wie ein bedrückendes Gefühl, das er sonst nicht kannte. Selbst die Landschaft gefiel ihm nicht mehr. Die hohen Berge kamen ihm nahezu gefährlich vor, sie erinnerten ihn an Mauern, die jeden Augenblick zusammenfallen konnten.
    Er atmete heftiger, holte ein Tuch aus der Tasche und wischte damit über seine Stirn.
    Die Frau gegenüber beobachtete ihn mit Argusaugen. Dann fragte sie: »Möchten Sie einen Schluck Wasser? Ich habe eine Flasche bei mir.«
    »Nein, danke.«
    »Gut, wie Sie wollen.«
    Meyer schaute aus dem Fenster. Die Berge waren noch näher herangerückt. Sie kamen ihm sehr hoch vor. Wenn er den Himmel sehen wollte, musste er den Kopf schon leicht verrenken, und da sah er dann den grauen Fleck.
    Die Frau von gegenüber nickte ihm zu. »Gleich ist es so weit«, sagte sie.
    »Was meinen Sie?«
    »Dann kommt der Tunnel.«
    »Aha.«
    »Und der ist lang.«
    »Ich weiß.«
    »Oder haben Sie Angst davor?«
    Urs Meyer krauste die Stirn. Er presste die Lippen aufeinander, weil er sich vor einer Antwort fürchtete. Tatsächlich hatte er Angst vor dem Tunnel. Vor diesem langen, finsteren Loch, das kein Ende zu nehmen schien.
    »Warum sollte ich Angst vor dem Tunnel haben? Bin ich ein kleines Kind?«
    »Nein, das nicht. Aber es gibt viele Erwachsene, die vor einem Tunnel Angst haben. Auch wenn es nicht mehr dunkel im Zug wird wie früher. Das habe ich noch erlebt.«
    »Ja, ja, ich weiß.«
    »Und jetzt kann man eine Fahrt mit dem Zug genießen. Sie können wunderbar entspannen, es gibt keinen Stress, nur den, den man sich selbst macht.«
    »Ich weiß.«
    »Machen Sie sich Stress?«
    »Nie!«
    »Haha, Sie lügen.« Die Frau nickte. »Sie sagen nicht die Wahrheit, junger Mann.«
    »Aha, das wissen Sie?«
    »Ja.«
    »Und woher?«
    Sie schob ihren Kopf etwas nach vorn. »Das sehe ich Ihnen an. Ja, dafür habe ich einen Blick.«
    Urs Meyer sagte nichts. Nur ein leises Aufstöhnen entwich seinem Mund. Er mochte die Frau nicht, die da so selbstsicher vor ihm hockte. Sie trug ein grüngraues Kostüm und darunter eine weiße Bluse. Ihr Lächeln wirkte feist, und in den kleinen Augen schimmerte es hin und wieder.
    Eigentlich hatte Urs Meyer schon längst aufstehen und das Abteil wechseln wollen, doch die Kraft fand er einfach nicht. Der Sitz kam ihm vor wie ein Magnet, der ihn anzog und erst mal nicht wieder freigeben wollte.
    »Stimmt’s?«, fragte sie.
    »Was?«
    »Dass Sie lügen.«
    Urs Meyer war es leid. »Verdammt noch mal,
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