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Taenzer der Nacht

Taenzer der Nacht

Titel: Taenzer der Nacht
Autoren: Andrew Holleran
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unseres am Tag in den Straßen zwischen Bahnhof und Hafen hin und her fuhren, der die Bewohner Manhattans über die flache Bucht zu ihren Orgien am Strand von Fire Island brach te. Es war eine Reise von Insel zu Insel: von Man hattan über Long Island nach Fire Island, und die letz te re war nur eine Sandbank, schmal wie eine Klammer, die den Atlantik umschließt, der wirklich äußerste Rand des festen Erdbodens, auf den ein Mann noch sein Haus bauen kann, um alles hinter sich zu lassen von dem weiten Kontinent im Westen – wirklich alles. Es gibt New Yorker, die sich damit brüsten, nie west lich des Hudson gewesen zu sein. Aber die erschöpften Seelen, die jedes Sommerwochenende zu ihren H ä u sern auf der langen Sandbank fuhren, die bei manchen als die „Gefährliche Insel“ bekannt war (gefährlich, weil man dort sein Herz, seinen Ruf und seine Kon takt linsen verlieren konnte), setzten zwischen sich und Amerika eine noch verachtungsvollere Grenze: frei, end lich frei.
    Jetzt also lag der Ort Sayville verlassen in völligem Frieden da. Die anstrengende Saison war vorbei, und als das Taxi etwas langsamer durch die Flecken von Sonnenlicht und rotem Laub hindurchfuhr, kamen wir an einem Bild kleinstädtischen Lebens nach dem ande ren vorbei. Kinder spielten im Stadtpark Fußball, ein anderes Fußballspiel wogte auf dem Schulhof hin und her, und Jungen auf Fahrrädern drehten müßige Run den über den Supermarkt-Parkplatz; ganze Familien harkten in ihren Gärten abgefallenes Laub zusammen. Es war die Stimmung, die Malone immer sentimental machte. Er fuhr durch Sayville mit einer noch lange nachklingenden Sehnsucht nach seinen großen weißen Häusern, seinen freundlichen Vorgärten mit den Lat ten zäunen und Kletterrosen. Immer, wenn er durch fuhr, schaute er zurück und sagte, dies könne die vollkommene Stadt sein, nach der er schon immer gesucht habe, wo Ulmen und Rasenflächen zusammenträfen mit den Leuten, die er möge. Aber die sommerlichen Taxis fuhren unweigerlich hindurch, wie Gefangenen transporte, die die Insassen von einem Knast zum anderen bringen – von Manhattan nach Fire Island –, während wir doch in Wirklichkeit im tiefsten Inneren unseres Herzens nur von einer solchen Stadt träumten, ruhig, grün, unberührt von der Arroganz und dem Ehr geiz der großen Welt, der Welt, die wir nicht lassen konnten.
    „Ist das nicht wunderschön?“ rief Malone immer, wenn wir an dem Mädchen vorbeifuhren, das auf dem Rasen Handstand machte, an der Frau, die mit einer Kinderschar einen schattigen Weg entlangging. „Wa rum nehmen wir nächsten Sommer nicht lieber hier ein Haus?“ Aber er wußte, wir würden das nicht tun, und er auch nicht, denn noch schlugen die Trommeln in unserem Blut; wir beugten uns vor, konnten sie beinahe schon über die Bucht hören, und der Kleinbus raste durch die Straßen, damit der Fahrer zurückeilen und noch eine Ladung von Verg nü gungssüchtiger holen konnte, die so scharf auf ihr Vergnügen waren, daß sie durch das Glück, eine geruhsa m ere Existenz, die unter diesen Ulmen blühte, geradenwegs hindurchzufahren schienen. Wir fuhren weiter durch die schattige Häus lichkeit, tatsächlich wie Gefangene, die, in ihrem eige nen Hochmut gefangen, verschubt werden von Ge fängnis zu Gefängnis. In Wirklichkeit erinnerte das Kleinstädtchen Malone an seine Tage im Internat in Vermont; der Anblick eines Fußballes über einer grünen Holzwand ließ ihn vor leidenschaftlichem Bedauern aufseufzen. Er sah immer wie ein Schüler aus, der gerade mit glänzenden Augen von einem Nach mittag voll Fußball vom Spielfeld kommt. Er wirkte immer so, selbst in einem U-Bahnhof in der schmuddeligsten Straße von Manhattan.
    „Die Leute spinnen, daß sie nach dem Tag der Arbeit abreisen“, murmelte Malone an jenem sonnigen Nach mit tag. „Wir sollten am Tag der Arbeit herauskom men“, sagte er; aber er wollte schon immer seine Ver gnügungen verfeinern. Er liebte den Strand im Herbst, wenn die Massen weg waren, und im Winter ging er gerne um fünf Uhr morgens tanzen, und warum? Weil dann die Menge weg war, der Discjockey nicht mehr für sie spielte, sondern für seine Freunde, und da tanz te es sich am besten. Und deshalb wollte er auch mit all seinen Freunden auf dem Land leben, und mit ihnen, in einem ursprünglichen Tal, das er niemals fand, dem Wechsel der Jahreszeiten zusehen.
    Die nasale Stimme, die man im Sommer immer im Taxifunk quengeln hörte, war jetzt stumm, genauso still
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