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Taenzer der Nacht

Taenzer der Nacht

Titel: Taenzer der Nacht
Autoren: Andrew Holleran
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Mitternacht
    Tiefer Süden
     
    Ekstase,
    endlich ist es Frühling geworden hier an den Ufern des Chattahoochee – die Azaleen blühen, und alles stirbt an Krebs. Es ist jetzt schon sehr spät nachts. Wir haben nur eine Petroleumlampe, und die Insekten stoßen beharrlich gegen das Fliegengitter an meinem Ellbogen, um zum Licht zu kommen – so beharrlich wie viele Leute, die wir in New York kennen, nach Liebe suchen, n’est-ce pas? – wieder, wieder und wieder.
    Ich kann Dir nicht erzählen, wo ich bin, denn ich möchte einen klaren Schlußstrich unter mein früheres Leben ziehen. Ich kann mir gut vorstellen, wie in diesem Moment meine Wohnung unter dem Ansturm von Ratten und Schaben zusammenbricht; die Frau eine Treppe tiefer ihre Tuber kulo se aushustet; der Mann nebenan seine Frau zusammen schlägt; der Lärm künstlichen Lachens aus dem immer wieder abgespielten Song „I love Lucy“ im Treppenhaus wider hallt; das Telefon klingelt, und mir ist es egal. Ich kann nicht zurück. Lieber würde ich wie ein wildes Tier auf dem Feld sterben, Amigo, mein Gesicht dem Mond zugewandt, dem leeren Himmel und den Sternen, als umzukehren; mich auflösen wie der Tau auf meinen Wangen.
    Ein kleines Beispiel: In diesem Augenblick hängt ein rost roter Mond tief über den Seerosen, und die Blätter der Eichen glänzen in seinem Licht. Kein Geräusch ist auf der Welt als das der Enten im Schilf, die munter werden, wenn die Frösche sich beruhigen. Auch Reiher nisten hier, Silber reiher, die jeden Nachmittag bei Sonnenuntergang in großen Schwärmen zur Nachtruhe in die goldenen Schilfdickichte fliegen; und nach einem langen heißen Tag sitzen wir draußen unter den Bäumen und beobachten sie und ge nießen die Brise, die vom Wasser aufkommt. Alles steht in voller Blüte, Azaleen und Kornelkirschen, die Luft ist mild wie Talkumpuder, so mild, daß man sich nicht vorstellen kann, daß hier Menschen sterben; höchstens, daß sie lang sam zergehen wie Gebäck im Regen, wie Gebäck, Talkum und Azaleen unter den Büschen zu Haufen von Blütenblät tern zerfallen – und nachmittags, meine Liebe, wenn ich durch den Wald gehe, steigt der Geruch von Piniennadeln von der Erde auf, steigt auf und hüllt mich in eine ganze Wolke ein, und ich fühle mich der Ohnmacht nahe.
    Entlang der Straßenränder sieht man hier Sträflinge das Gras schneiden, während ein Mann mit Gewehr sie bewacht; Sträflinge und Silberreiher und Azaleen und einen rostroten Mond gibt es hier, und Wasserschlangen und Pecanobaum pflan zun gen, und vor meinem Fenster schläft gerade ein kleiner brauner Vogel neben dem Nest, das er gerade bauen will. Er bringt immer einen kleinen Zweig herbei, setzt sich dann auf den Ast daneben und betrachtet sich genau seine getane Arbeit; er fasziniert mich ungeheuer und ist so viel niedlicher als die greulichen Tauben. (Wie können sie nur in dem Dreck leben? Und wie konnte ich es?)
    Und die jungen Männer unten in der Stadt, die in Jeans und ohne Hemd herumlaufen, schlaksige, langbeinige Bur schen – und unser irischer Pfarrer, der gerade von einer Missionsstation aus Guinea zurück ist! Wir gehen jeden Sonntag zur Messe und sind ziemlich engagiert in kirchli chen Dingen. Ich bin verliebt in ihn und in die Spottdros seln, und in den heißen blauen Himmel, die grellweißen Wolken unter der Mittagssonne, und in die Pinien, die in der Hitze knistern, als ob sie unter Strom stünden, und die Fliegen, wie sie über den Gardenien summen, und in den roten Himmel bei Sonnenuntergang, durchzogen von Rei hern, die über den See fliegen. Mittags liege ich in der Hängematte im Garten, höre den Drosseln hoch oben in den Eichen zu, und betrachte die Kardinalsvögel, wie sie durchs dunkle Floridamoos schießen.
    Soviel will ich Dir verraten: Wir leben auf einer Farm in der Nähe eines kleinen Ortes voll von pensionierten Postbe am ten, von denen die meisten an Krebs sterben. Morgen gehen Ramon und ich zu unseren Nachbarn, um ihnen zu helfen, einen Faulbehälter zu installieren. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, Leuten dabei zu helfen, einen Faulbehälter aufzubauen, statt Leuten zuzuhören, die einen um drei Uhr morgens anrufen, um zu erklären, daß sie jetzt Selbst mord begehen werden. Amerikaner sind praktische Menschen! Wir brauchen praktische Probleme. Ich würde viel lieber jemandem helfen, einen Faulbehälter zu instal lieren, als ihm einen Grund zu leben geben – es ist ganz einfach, einen Faulbehälter aufzubauen, aber das
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