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syrenka

syrenka

Titel: syrenka
Autoren: Elizabeth Fama
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Seidenschal. Während sie sich mit Peter unterhielt, leuchteten ihre Augen und ein breites Lächeln zeigte ihre Zähne. Hester spürte einen leichten Druck auf der Brust, dann ärgerte sie sich über dieses Gefühl.
    Während er antwortete, zog Peter seinen Captain-Dave-Windbreaker aus, und Hester legte den Kopf ein wenig schief, weil sie eine neue Entdeckung machte: Seine Schultern waren breiter geworden. Hatte sie das schon gewusst? Sie war schon so ewig lang mit ihm befreundet, dass sie ihn vor ihrem geistigen Auge immer noch als den dürren Sechsjährigen sah, der sich beim Strandbesuch voller Panik an seinen Schwimmreifen klammerte und den Kopf in den Nacken legte, damit er bloß kein Wasser ins Gesicht bekam, während sie ungeniert unter ihm hin und her tauchte – nur um ihn zu ärgern. Damals war er ein richtiger kleiner Feigling gewesen, dachte sie belustigt. Und dann ertappte sie sich dabei, dass ihr Blick wieder über seine Schultern und seinen Rücken glitt, und sie zwang sich wegzusehen.
    Wie kam sie dazu, ihn anzuhimmeln oder ihm heimlich zuzusehen, wenn er sich mit anderen Mädchen unterhielt?
    Sie zog eine Kette unter ihrem Kragen hervor: ein gewölbtes goldenes Herz mit leicht mattierten Rändern, das an einer dünnen, kurzen Kette hing. Hester drückte das Herz fest an ihre Lippen, bis es an den Zähnen schmerzte. Sie rief sich die Geschichte dieser Kette ins Gedächtnis: Ihre Mutter hatte sie ihr vermacht, als sie im Sterben lag und Hester vier Tage alt gewesen war. Und Hesters Mutter hatte die Kette unter denselben Umständen von ihrer eigenen Mutter erhalten. Nach einer Überlieferung, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, war Hesters Urururgroßmutter die ursprüngliche Besitzerin dieses Schmuckstücks gewesen, eine Frau namens Marijn Ontstaan, die an »Auszehrung« gestorben war oder an etwas ähnlich Nebulösem – kaum eine Woche nach der Geburt ihres Kindes.
    Was für ein schweres Schicksal dieses kleine Herz für ihre Familie verkörperte, dachte Hester und steckte es wieder unter ihren Kragen: das Erbe eines zu frühen Todes, an ein unschuldiges Leben weitergereicht. Aber es war auch eine Warnung: Hester hatte sich schon vor Jahren gegen die Liebe und ihre Verlockungen entschieden, gegen Sex und die Ehe. Sollten andere es ruhig wagen, Peter und das Mädchen mit den kurzen Haaren zum Beispiel, Leute, die nicht alles verlieren mussten, wenn sie liebten.
    Sie sah wieder zu den beiden hinüber. Peter zeigte dem Mädchen gerade die Schautafel eines Bartenwals. Aus seinen Gesten konnte Hester schließen, dass er ihr gerade das Filtersystem beschrieb, mit dem der Wal Nahrung aufnahm, und ihr erzählte, dass die Barten aus Keratin bestanden, also eher Fingernägelnähnelten als Knochen. Tausende Male hatte sie gehört, wie er diese Dinge den Touristen erklärte: immer aufgeschlossen, niemals ungeduldig und immer mit ihnen gemeinsam auf einer Entdeckungsreise. Aber jetzt war sein Gesicht so nah an dem des Mädchens, dass sie einander fast berührten. Und einen Wimpernschlag zu lang blieben sie so. Peter achtete nicht mehr auf die anderen Passagiere und vergaß, für den Kapitän nach den Atemfontänen der Wale Ausschau zu halten, wie er es sonst tat. Das Mädchen strich mit der Hand über das Wal-Schaubild und lächelte, als sie anschließend durch sein Haar streichelte und beides miteinander verglich. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er ihre Berührung hin – oder ermunterte er sie gar?
    Hester musste den Druck auf ihrer Brust loswerden. Sie lief zum Heck des Schiffs, auf die Rückseite der Kapitänskabine, wo die beiden sie nicht sehen konnten. Sie sah auf die Bucht und gab sich der Sehnsucht hin, dass das Wasser sie überfluten möge und dass es bis in die letzten Ritzen ihrer Seele strömte, bis sie vollständig davon durchdrungen war.

Ezra verließ den Papierwarenladen mit einer Unbeschwertheit, die sich verdächtig nach Freude anfühlte – sofern er richtig in Erinnerung hatte, was Freude eigentlich war. Er zückte seine Taschenuhr. Noch zehn Minuten bis zum Niedrigwasser. Perfekt! Ezra merkte, dass er lächelte. Erstaunlicherweise hatten die kleinen Muskeln um seinen Mund herum noch nicht vergessen, wie das ging. In seiner anderen Hand trug er ein Paket – es enthielt den Gegenstand, der ihm aus seinem Elend ein klein wenig herauszuhelfen versprach.
    Vor neun Monaten hatte er sich von seinem zweiten Jahr in Harvard beurlauben lassen. Nur für eine kurze Zeit, hatte er
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