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Die zweite Nacht

Die zweite Nacht

Titel: Die zweite Nacht
Autoren: Natalie Rabengut
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    Als das Taxi hielt, war ich erleichtert. Endlich zuhause! Endlich hatte ich diese beknackte Hochzeit hinter mich gebracht. Es war nicht so, als würde ich mich nicht für meine Schwester freuen. Aber seit sie verkündet hatte, diesen Alptraum in Weiß zu veranstalten, waren Mamas vorwurfsvolle Blicke, weil ich noch Single war, immer schlimmer geworden.
    Scheinbar brauchte eine Frau unbedingt einen Penis an ihrer Seite. Jedenfalls befand sich meine Schwester jetzt auf dem Weg in die Flitterwochen und ich hatte wieder meine Ruhe. Nachdem ich den Fahrer bezahlt hatte, stieg ich aus und verzog sofort das Gesicht. Meine Füße brachten mich um. Ich war es ohnehin schon nicht gewohnt, auf hohen Absätzen zu laufen – es den ganzen Tag zu tun, hatte mich fast in den Wahnsinn getrieben.  
    Die frische Nachtluft erwischte mich wie mit einem Hammer und erinnerte mich daran, dass ich das letzte Glas Champagner lieber unauffällig in eine der Blumen hätte kippen sollen, wie Mo,   die Freundin meines Bruders, es getan hatte. Das war aber leichter gesagt als getan, wenn man unablässig von den eigenen Eltern beobachtet wurde, die fleißig nach einem Bräutigam für mich Ausschau hielten.
    Mein Bruder Daniel, der alte Verräter, hatte es irgendwie geschafft, Mo um den Finger zu wickeln und jetzt war ich der letzte Single der Familie. Wundervolle Aussichten für die nächsten Familientreffen – schon allein, weil niemand akzeptieren wollte, dass ich einen Mann in meinem Leben ungefähr so dringend brauchte wie eine Blasenentzündung. Für den Moment reichte meine Arbeit mir voll und ganz.
    Genau zwei Schritte schaffte ich in Richtung Haustür, bevor ich dachte, vor Schmerzen sterben zu müssen. Kurzerhand schlüpfte ich aus den Schuhen. Als ich mich bückte, um sie aufzuheben, bohrte sich erneut der verdammte Bügel des trägerlosen BHs in meine Rippen. Elena hatte mir dieses blöde Ding aufgenötigt. Bevor ich in meiner Wohnung angekommen wäre, würde das Ding mir den Lungenflügel perforieren. Oh, das war eine gute Idee für einen ungewöhnlichen Mord.
    Schnell wühlte ich in meiner Handtasche und zog mein Handy hervor. Ich liebte mein Smartphone heiß und innig – nur nicht, um mit anderen Menschen zu kommunizieren. SMS schreiben? Lieber würde ich mir selbst den kleinen Zeh abnagen. Aber Notizen für Bücher und Recherchen unterwegs? Dafür war das Ding Gold wert.
    Meine Finger flogen über die Tasten, bevor ich es zufrieden wieder in meine kleine Tasche quetschte. Ich sehnte mich zutiefst nach meiner Couch, der Jogginghose und konnte es kaum erwarten, mich aus dieser hübschen, aber unbequemen Unterwäsche zu befreien.
    Kaum hatte ich die Eingangstür aufgeschlossen und die dunkle Vorhalle betreten, seufzte ich erleichtert. Das Taxi hatte gewendet und ich konnte endlich ungestört diesen verfluchten BH ausziehen.  
    Das Haus, in dem ich wohnte, sah zwar von außen nicht so aus, war innen aber piekfein und die Miete ganz und gar nicht billig. Der Vorteil daran war, dass hier fast nur Rentner wohnten, die mich in Ruhe ließen. Im Gegenzug hörte man von mir natürlich ebenfalls keinen Ton.  
    Seit zwanzig Uhr herrschte hier in den meisten Wohnungen strenge Bettruhe und ich konnte mich jetzt – um kurz nach elf – ungestört im Flur ausziehen. Eine Sekunde länger und der BH würde mich tatsächlich aufspießen.
    »Scheiße. Scheiße. Scheiße«, verfluchte ich das Ding, während ich in meinem Ausschnitt herumfummelte. Noch immer verstand ich nicht ganz, warum ich mir überhaupt diese Unterwäsche von Elena hatte aufschwatzen lassen.  
    Erleichterung durchflutete mich, als ich die schwarze Spitze endlich in den Händen hielt. Am liebsten hätte ich die Wäsche direkt in einer feierlichen Zeremonie verbrannt.
    Mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung streckte ich den Rücken durch und überlegte, ob ich die Post mit nach oben nehmen sollte – oder ob ich mir dieses Highlight lieber bis morgen aufheben wollte. Dann hätte ich wenigstens einen Grund, meine Wohnung zu verlassen.
    In diesem Moment trafen unsere Blicke sich. Er stand vor den Briefkästen und starrte mich an, als ob ich ein Alien wäre. Schnell spulte ich die letzten Sekunden vor meinem inneren Auge ab. Wie clever, mich nicht umzusehen, bevor ich mir elegant die Kleidung vom Leib riss!  
    Er war überaus attraktiv und schien in meinem Alter zu sein; vermutlich der Enkel von einem der älteren Paare, die hier lebten. Mein Puls hatte sich merklich
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