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syrenka

syrenka

Titel: syrenka
Autoren: Elizabeth Fama
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dem Dekan gesagt, höchstens vielleicht einen Monat. Sein Vater wurde und wurde eine schwere Erkältung einfach nicht mehr los, wie die Haushälterin geschrieben hatte – nichts, was sich nicht mit heißem Grog, warmen Decken und der liebevollen Anwesenheit des einzigen Sohnes kurieren ließe. Als Ezras Kutsche jedoch eintraf, war Mrs. Banks´ Optimismus längst dunklen Schatten über den Augen und Sorgenfalten gewichen. Sechseinhalb Monate lang musste Ezra seinen Vater unter Fieber, Krämpfen und Schüttelfrösten leiden sehen, bis der Schmerz und die Verzweiflung das Undenkbare leise flüsternd verkündeten: dass der Tod gnädiger sein würde als das Leben. Ezra sah ihm mit schmerzvoller Erleichterung entgegen.
    Als Junge hatte er stets in den Prielen gespielt, die die Ebbe hinterließ. Er hatte Bücher verschlungen, sich Unterwasserwelten ausgedacht und Insekten und allerlei Meeresgetier gefangen und gezeichnet. Als junger Mann, so ging ihm auf, tat er nichts wesentlich anderes. Mit sechzehn hatte sein Vater ihm erlaubt, aufs College zu gehen, und kein einziges Mal hatte er die Wahl seiner Studienfächer kritisiert, obgleich sie zum Gewerbe des Schiffsbaus, das in der Familie lag, nicht im Entferntesten passten; so sehr hatte er seinen Sohn geliebt. Daher hatten diese letzten neun Monate Ezra mit Aufgaben beschäftigt, die er nie zuvor erlernt hatte: die Geschäfte zu führen, einem Haushalt vorzustehen, viel zu viele Gutmeinende mit ihren heiratsfähigen Töchtern im Schlepptau abzuwimmeln, sich die hohle Phrase des »armen Mr. Doyle« wieder und wieder anzuhören, ohne aggressiv zu werden, die vom Liegen wund gewordenen Stellen an dem bläulich-blassen Gespenst zu versorgen, das einst sein Vater gewesen war, und schließlich die Beerdigung des letzten Angehörigen vorzubereiten, den er auf dieser Welt noch gehabt hatte.
    Und nun galt es eine Trauerzeit von unbestimmter Dauer zu ertragen. War sie zu kurz, würde die Stadt ihn für roh halten. War sie zu lang, würde er verrückt werden. Er musste forschen.Er konnte ohne die Wissenschaft nicht leben. Eines baldigen Tages würde er aus Plymouth fliehen. Er würde die Haushälterin, den Justiziar und den Meister in der Werft hinhalten und versprechen zurückzukommen – auch wenn er das in Wirklichkeit gar nicht vorhatte – und dann die Old Colony Railroad nehmen, zum College fahren und zu Ende studieren. Bis dahin floh er nur für ein paar Augenblicke an den Strand.
    Als Ezra den Laden betreten hatte, hatte es genieselt und der Himmel war so verhangen und trübe gewesen, dass seine Pläne für den Abend zunichte schienen. Als er nun aber wieder hinauskam, waren die Wolken von hellen Flecken durchsetzt, durch die die Strahlen der Sonne als breite Balken hindurchfielen. Ezras Blick folgte diesen Sonnenbalken zum Himmel hinauf, während er vom Bürgersteig trat – völlig absorbiert von der Tatsache, wie außerordentlich gerade dieses Licht zu Boden fiel und dass die Wissenschaftler nur zu leicht dem Trugschluss hatten erliegen können, es handele sich dabei eher um winzige Teilchen als um Wellen –, und stieß mit Olaf Ontstaan zusammen. Ezras Paket landete im Schmutz der Leyden Street und Olafs Baumwollbeutel fiel mit dem Klirren zerspringenden Glases zu Boden.
    »Ungeschickter Tölpel!«, raunzte Olaf, während er sich bückte, um seinen Beutel rasch wieder aufzuheben. Dabei fielen die Scherben einer Glasflasche heraus.
    »Es tut mir entsetzlich leid«, entschuldigte sich Ezra. »Ich war in Gedanken.«
    In diesem Moment sah Olaf auf. »Mr. Doyle! Der arme Mr. Doyle! Wie geht es Ihnen? Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe! Ein Missgeschick, nichts weiter. Eleanor sagt immer, es hat keinen Sinn, über verschüttete Milch zu klagen.«
    Ezra bückte sich, um ihm beim Aufsammeln der Scherben behilflich zu sein. Der Geruch von etwas wesentlich Hochprozentigerem als Milch stieg von dem zerbrochenen Glas auf.
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Eleanor gegenüber meine Einkäufe nicht erwähnten«, sagte Olaf leise, während sie die Scherben aufsammelten.
    »Gewiss nicht.«
    »Sie hat etwas gegen Alkohol und ich respektiere ihre Wünsche in unserem Haus. Aber ich arbeite schwer, Mr. Doyle, ich sorge für meine Frau. Und wenn ich am Ende eines Tages nicht zu Hause meine Beine ausstrecken und ein Schlückchen trinken kann, dann habe ich es mir doch woanders verdient, nicht wahr?«
    Sie richteten sich auf und Ezra hob auch sein eigenes Paket aus dem Schmutz. Bevor das
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