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syrenka

syrenka

Titel: syrenka
Autoren: Elizabeth Fama
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ansehen zu können.»Hey du, ist alles okay?«, rief er.
    Hester nickte und zeigte ihm mit solcher Überzeugung den aufgerichteten Daumen, dass er ihr nur zuwinkte und weiterfuhr.
    Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie den Burial Hill erklommen hatte. Die Kirche lag still da – wie endlich zur Ruhe gekommen. Hester stellte ihr Fahrrad ab und lief zur Rückseite. Als sie um die Ecke bog, sah sie zu ihrem Schrecken Peter aus der Hintertür treten. Er hatte Linnies Puppe in den Händen. Als er Hester sah, überschattete augenblicklich ein besorgtes Stirnrunzeln sein Gesicht. Dann rannte er ihr entgegen und sie fiel ihm in die Arme. Er hielt sie, während sie in sein Hemd weinte.
    »Ich habe dich die ganze Nacht gesucht«, sagte er. »Ich habe deine Nachricht gefunden. Was zum Teufel ist denn bloß los?«
    »Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Hester und zog ihre schmerzende Nase hoch. Eine lange Geschichte, die über Generationen geht, ergänzte sie für sich. Aber dies war ein Geheimnis, das sie ihm erst nach einer ordentlichen Mütze voll Schlaf anvertrauen wollte. »Kann ich sie dir ein anderes Mal erzählen?«
    Bevor sie sich losmachte, blieb sie noch einen Moment in seinen Armen.
    »Ich habe deine Spange verloren«, sagte sie und ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen.
    »Dafür dürften deine Haare jetzt ohnehin zu kurz sein.«
    Hester fasste sich an den Hinterkopf. Ihr Haar fühlte sich strohig an und wie abgehackt.
    »Die Länge steht dir gut.« Peters Lächeln bekam einen sorgenvollen Anstrich. »Aber bei der Nase bin ich mir nicht so sicher.«
    Hester lachte unter ihren Tränen. »Kommst du mal eben mit?«, fragte sie.
    Sie fasste Peter an der Hand und ging mit ihm zur Friedhofstreppe. Sie führte ihn an der Stelle vorbei, wo sie mit den Polizisten gestanden hatte, und schob sich dann unter dem Eisengeländer hindurch auf die Wiese. Peter folgte ihr.
    Ezras Grab war immer noch mit Flatterband abgesperrt. Allerdings stand der Grabstein nicht mehr auf dem Kopf, sondern war, bis man ihn wieder ordentlich aufstellen konnte, flach auf den Boden gelegt worden.
    Die Tränen in ihren Augen machten Hester blind. »Kannst du mir bitte die Inschrift vorlesen?«, fragte sie unter Schluchzen.
    Peter legte seinen Arm um sie und zog sie an sich.
    E. A. Doyle
    1853 – 1873
    D ES M ENSCHEN G NADE IST DER T OD,
    ER STILLET UNSER S TREBEN,
    ER SCHLIEßT DEN K REIS,
    DA L IEBE WARD EMPFANGEN UND GEGEBEN.
    S O SEID GETROST, ICH BIN AM Z IEL,
    MEIN G EIST WILL NUN ENTSCHWEBEN.
    E IN LETZTES M AL GEDENKT NOCH –
    DANN SCHÖPFT K RAFT ZU NEUEM L EBEN!
    Hesters Hals war zu eng, um etwas sagen zu können.
    Peter neigte ein wenig seinen Kopf und sah sie an. Ihre Wangen waren von Schmutz und Tränen verschmiert. Er drückte sie an sich.
    »Kann ich dich nach Hause bringen?«
    Hester nickte. »Ja. Bitte.«

Der Wind, den Noo´kas´ Magie auf dem Friedhof hervorgerufen hatte, hatte Syrenka auf das Baby gedrückt. Sie hörte seinen gedämpften Schrei und kniete sich hin, um es zu untersuchen. Verletzt war es nicht, dennoch würde es ohne Seele nicht lange am Leben bleiben.
    Eigentlich hatte Syrenka vorgehabt, zum Strand zu laufen, zu Ezra. Aber das Baby hielt sie irgendwie fest, fesselte sie.
    Das Kind wimmerte schwach. Seine Haut wurde bleich und runzelig wie eine an der Sonne getrocknete Pflaume. Es sah aus, als vertrocknete das Baby vor Syrenkas Augen. Durch das offene Wickeltuch ragten die kleinen Beinchen hervor, von denen Fetzen trockener Haut herunterrieselten. Einen Augenblick später verwandelten sich die Hautpartikel in Schuppen. Schuppen?
    Syrenkas Brust wurde eng, als drückte eine unsichtbare Hand ihr Herz zusammen.
    Langsam wickelte sie das Baby aus seinen Tüchern. Immer mehr Schuppen erschienen, wohl angeordnet und einander überlappend. Die Beinchen bewegten sich mitleiderregend schwach. Die Baumwollwindel war aufgegangen, und Syrenka sah, dass es sich um ein kleines Mädchen handelte.
    Ein kleines Mädchen.
    Sie war im passenden Alter. Sie war sehr hellhäutig und hatte wundervolle grüne Augen. Die zuvor verkümmerten Schuppen, die mit ihrem schwindenden Leben wieder zum Vorschein kamen, ließen keinen Trugschluss zu.
    Jetzt wusste Syrenka, dass dies ihr Kind war. Und dass sie es umgebracht hatte.
    »Nein!«, schrie sie. Und zum ersten Mal in ihrem uralten Leben stiegen ihr die Tränen in die Augen.
    Von Ezras zärtlicher Liebe und durch ihr eigenes, sterbliches Herz hatte Syrenka viel gelernt. Der Gram
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