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syrenka

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Titel: syrenka
Autoren: Elizabeth Fama
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nach ihr jede Frau ihrer Familie – gebracht hatte, aus Liebe zu ihrem Kind. Denn auch wenn Syrenka ihre Seele geopfert hatte, um ihr Kind zu retten, blieb die ursprüngliche Seele der kleinen Marijn doch noch immer aus Selbstsucht an die Erde gefesselt.
    Es ist eine Seele zu viel auf der Welt, und eine wird aus Syrenkas Familie genommen werden, hatte Needa gesagt.
    Was bedeutete, dass Marijns erstes Kind ohne Seele geboren worden war und Marijn sich der Qual ausgeliefert sah, ihre Tochter in ihren Armen sterben zu sehen.
    Jedes neugeborene Kind in Hesters Familie war ohne Seele auf die Welt gekommen. Und jedes unschuldige, unbeseelte Kind hatte innerhalb von Tagen dahinzuwelken begonnen. Bevor ihr Kind jedoch starb, hatte jede Mutter ihre eigene Seele dem Babygegeben und das eigene Dasein beendet – für das Leben ihrer Tochter.
    Durch die Erlösung von Ezra, Linnie, Pastor McKee und Eleanor war es Hester gelungen, endlich auch die Seele der kleinen Marijn zu befreien. Damit war die Schuld beglichen. Wenn Hester einst starb, dann mit ihrer Seele – der Seele Syrenkas, wie sie nun wusste –, die von Sarah auf Marijn, an Nellie, zu Grace, auf Carolyn, zu Susan und schließlich auf sie übergegangen war. Wenn sie heiratete und eine Tochter bekam, würde Hester weiterleben und mit etwas gutem Geschick und Gesundheit eines Tages das Glück haben, ihre Enkelkinder und vielleicht sogar ihre Urenkel kennenzulernen.
    Hester betrachtete den Leichnam ihres schönen Geliebten. Am Ende hatte er seinen Tod ergeben angenommen, wohl wissend, was sie dadurch gewinnen würde. Zum letzten Mal küsste sie seine Lippen.
    »Leb wohl«, flüsterte sie, und wie sehr wünschte sie, es wäre nicht für immer gewesen.

Der Sturm verebbte und innerhalb weniger Augenblicke hörte es auf zu regnen. Noo´kas hatte zwar ihre Spielzeuge eingebüßt – als Pfand dafür aber Ezras Journal erhalten. Hester tröstete sich mit dem Gedanken, dass es sich innerhalb weniger Tage und Wochen auflösen würde und die Meereshexe dann endgültig nichts mehr von Ezra besaß.
    Sie legte Ezra die Hände auf der Brust zusammen und streichelte mit den Fingerspitzen seine Wange und seine Lippen.
    Dann stand sie auf und versuchte trotz ihrer zitternden Hände ihr zerrissenes Hemd mit dem letzten, losen Knopf zu schließen. Ihre Socken und ihre Turnschuhe waren voll nassem Sand. Mit den Fingern fuhr sie sich durch ihr kurzes Haar. Sie war von oben bis unten voller Blut, Salz, Sand und Resten aus dem Meer, und sie fühlte sich in jeglicher Hinsicht aufgelöster, als sie je für möglich gehalten hätte. Ihr Innerstes war nach außen gekehrt, ihr Kopf war leer. Übrig war nur noch eine geschundene, zerbrechliche Hülle. Es war undenkbar, dass sie auch nur entferntvorzeigbar aussehen könnte, aber das war ihr egal. Es dämmerte nun fast, und sie musste ihr Leben leben – für Syrenka und Ezra, für Linnie und McKee und für alle Frauen ihrer Familie, die zu jung gestorben waren.
    Als Erstes wollte sie Linnies Puppe zum Museum zurückbringen. Dann wollte sie ein heißes Bad nehmen, sich ausschlafen und vielleicht wegen ihrer gebrochenen Nase zum Arzt gehen.
    Ein letztes Mal sah sie Ezra an, dann zwang sie sich zu gehen. Am Kopf der Steintreppe bemerkte sie, dass die Sonne aufging. Der Horizont glühte orange und rot. Darüber türmten sich die grauen und schwarzen Überreste der schweren Sturmwolken.
    Nach Billionen von Jahren erschafft die Erde noch immer jeden neuen Tag mit voller Leidenschaft, dachte Hester.
    Dann fesselte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit: Es sah aus, als bewegten sich in einiger Entfernung flirrende Silhouetten über das Meer, der Sonne entgegen. Hester überlegte, ob sie Halluzinationen hatte. Sie blinzelte in das gleißende Licht. Es waren vier Gestalten, eine deutlich kleiner als die anderen, eine bedeutend größer. Die größere Gestalt blieb einen oder zwei Schritte hinter den anderen zurück und drehte sich um, offenbar zögernd. Hester sah zum Strand hinunter, wo Ezras Leichnam gelegen hatte. Er war weg. Sie sah wieder zum Horizont und suchte ihn. Aber die Prozession war verschwunden.
    Hester lief über die Wiese und machte ihr Fahrrad von der Laterne los. Um die Leyden Street bergaufzufahren, fehlte ihr die Kraft. Daher schob sie das Rad. Ein Fischer, der die Water Street entlangfuhr, überholte sie. Hester sah seine Bremslichter aufleuchten. Dann blieb sein Pick-up stehen. Er reckte sich ein wenig, um Hester durch das Beifahrerfenster
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