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Surf

Surf

Titel: Surf
Autoren: Daniel Duane
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eisigen Wellen über dem Kopf, scharrte und zerrte ich das Surfboard über große Stränge und Schäfte von Kelp, die wie glänzende Ranken und Zweige auf dem Wasser trieben. Ein sich durch die trübe Brühe reckender Efeuwald ohne Haus, an dem es sich hochranken konnte – verschlungene Bänder des Lebens. Die so bedeckte Wasseroberfläche fing die Bewegung der Wellen auf, hielt die Brandung ruhig, winkte mit flüssigen Säulen wie stachellose, vom Himmel herabbaumelnde Bäume, atmete mit der Sinuskurve der Brandung ein, mit ihrer Cosinuskurve aus. Der Pulsschlag des Lebens als ein empfindungsloses Momentum. Dort unten im lichtgesprenkelten Dschungel bevölkerten Seesterne und schwarze Abalones die Flächen; Krabben und Schnecken knabberten an den Stielen und wurden selbst von Drachenköpfen und Brandungsbarschen angeknabbert: die obszöne Anzahl der kleinen Aasfressereien und Attacken einer ausgezeichneten Organisation.
    Ich versuchte, mich auf eine kleine Welle aufzuschwingen, stürzte aber vom Brett, weil meine Beine steif waren und ich keine Balance hatte. Aber immerhin war ich nass. Ich paddelte einer anderen entgegen, schätzte sie aber nicht richtig ein. Ein Strudel formte sich darunter, und die Lip warf mich kopfüber ab. Der Nebel verzog sich endlich, als der Abend kam, und da stand noch ein Mann auf den Klippen. Neben mir kam eine Robbe an die Oberfläche und verschwand wieder. Die Sonne warf lange Schatten über die Klippen und ätzte kleine Hohlräume in sie hinein. Das Wasser war von einem harten Blauschwarz mit rosigem Abendlicht, das auf den Kräuselungen glitzerte. Ich bekam noch ein paar Wellen, wärmte aber nicht auf. Die Robbe erschien wieder, um zwischen den freiliegenden Riffen zu fischen. Viel später, in der letzten halben Stunde Licht, paddelte der andere Typ hinaus. Es war Steve, der Bursche mit dem kleinen, blinden Hund. Wir schwatzten ein wenig und froren zusammen im selben eiskalten Wasser, als die Sonne unterging, Kliffspitzen beleuchtete und lange Sedimentbrüche verdunkelte. Ein Pelikan schwamm mit hochgestrecktem Hals, den Schnabel direkt nach unten gerichtet, vorüber. Der kalte Wind und der Mangel an Wellen versprachen kein Adrenalin, und ich fing an zu schlottern. Die Sonne war ein scharf umrissener leuchtender Ball. Steve sagte, er wolle zurück nach Utica, New York, ziehen, bei seinem Bruder wohnen und Anfängerkurse für Krankenpflege im dortigen College belegen. Die zehn Jahre Kalifornien hatten zu nichts geführt: Die Frau war schließlich weg die Wirtschaft am Boden, die Städte so groß und teuer. Er fing auch an zu schlottern, dabei war er erst ganz kurz draußen. Ich konnte sehen, wie er die Lippen fest aufeinander presste und die Schultern zusammenzog. Er freute sich nicht gerade auf den Winter im Osten, sagte er, er hatte gedacht, er habe seinen letzten dort bereits hinter sich.
    Die Sonne zerfloss an der Unterseite und schmolz rasch in den Ozean, während er erzählte – es war wunderschön aber so frostig. Allein paddelte ich an Land und zitterte am ganzen Körper in brutalen Zuckungen, als ich meinen Neoprenanzug auszog. Ich brauchte eine Weile, bis ich angezogen war, weil meine Finger so taub waren, dass ich meine Jeans mit den Handflächen zuknöpfen musste. Und die ganze Zeit über blieb Steve im Wasser, versuchte sich nicht einmal an einer Welle, saß auf seinem Brett und trieb einfach durch die hereinbrechende Nacht. Sogar als ich mich umgezogen hatte und die Sonne vollständig untergegangen war, blieb er. Auf dem Rückweg durch die Felder konnte ich noch Wolkenfetzen in der Dunkelheit sehen. Scheinwerfer tauchten auf dem Highway auf, während hinten an der Klippenkante die Zypressen zu Silhouetten vor dem noch verbliebenen Streifen violetter Abenddämmerung verflachten. Stille, atmen … Schritte entfernt von der schwarzen See, die eher einen eiskalten flüssigen Balsam als die Wärme des Flusses Lethe versprach. Kein Arzt würde je einen Patienten hierher schicken, damit er seine Jugend wiedererlangt. Von einer kalten, dunklen Welle unter Wasser gedrückt, fühlt man sich klein und schwach und begreift, dass selbst der eigene Körper größtenteils im Grunde nichts als Wasser ist.

Epilog

     
    Es gibt noch eine letzte Begegnung, von der ich erzählen möchte; es geht nicht ums Surfen, sondern um das, was mich dazu veranlasst hat, die Art von Frieden zu suchen, die das Surfen bietet. Ich hatte meinen Pick-up bepackt, und Susan erwartete mich am nächsten Tag
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