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Surf

Surf

Titel: Surf
Autoren: Daniel Duane
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als billigen Nervenkitzel im Sinn, Kaffee, Scones und besagten Muffin im Auto und fuhr im Scheinwerferlicht und mit den Radionachrichten (Immobilienpreise fallen, Mann bei Unfall im Fahrstuhl getötet, Dow-Jones steigt) über die Brücke, während San Francisco in der Morgendämmerung langsam erwachte. Glücklich, weil kein anderes Auto am Strand war, stand ich splitterfasernackt am Fahrbahnrand und fröstelte im kalten Wind – der höchstwahrscheinlich aus Süden kam, obwohl ich damals noch nicht sagen konnte, aus welcher Richtung Wind kam, und noch überhaupt keine Ahnung hatte, wie sich Luftbewegungen auf Wasser auswirken. Während die Pendler Richtung Norden an mir vorbeisausten und ich mich – eingebildet wie immer – zweifellos dazu beglückwünschte, dass ich mich für einen Morgen der Alltagsmühle entzogen hatte, streifte ich meinen schäbigen 70er-Jahre-Neoprenanzug über, ein Erbstück meines Onkels. Auf dem Weg zum Strand hinunter spürte ich den Schotter unter meinen Füßen und zitterte in der feuchten Nachtluft, die sich dort über dem Flussbett gehalten hatte. Bei hoher Dünung hängt über der Küste ein merkwürdiger Nebel, ein feiner, fast unsichtbarer Dunstschleier, aber das wusste ich damals noch nicht, und ich bemerkte auch nicht, wie die Morgendämmerung das körperlose Meer in weiches, dunstiges Rot tauchte. Es war Anfang Januar, mitten in der Regensaison, dem eigentlichen kalifornischen Frühling. Die ersten Rettich-Blüten gaben den Landstraßen etwas bescheiden Fröhliches: Zierlich, lila und weiß zogen sich die Blüten an den brachliegenden, von Sauerklee, Senfpflanzen und Disteln üppig grün überzogenen Feldern entlang. In einigen Wochen würde die ganze Gegend in hellstem, wogendem Gelb erstrahlen. Aber davon bemerkte ich wahrscheinlich auch nichts.
    Vermutlich sah ich jedoch die kleinen Waldkaninchen, wie sie unbeweglich in den Senken des Schotterwegs hockten, dachte vielleicht sogar an ihre Anfälligkeit für Herzinfarkte, wenn man sie jagte, und daran, dass sie offenbar dafür geboren waren, eine kleine Mahlzeit abzugeben. Mit Sicherheit wusste ich aber nichts über die rauchweiße Kornweihe, die jeden Tag in der mit Schilf bewachsenen Lagune jagte und zu dieser kalten Morgenstunde auf einem Hochspannungsmast der Southern Pacific Railroad hockte und darauf wartete, dass die Sonne die aufsteigenden Luftschichten, die sie tragen würden, erwärmte. Als ich auf dem menschenleeren Strand stand, vor einer der höchsten Dünungen des Jahrzehnts, nahm ich wahrscheinlich nur die gewaltige Brandung wahr und dachte verständlicherweise: Was für ein Wahnsinnsleben! Vielleicht kamen mir die Gischtfinger des Meeres, die nach dem trockenen Teil des Strandes griffen – und Hunderte von watschelnden Möwen aufscheuchten –, ein wenig ungewöhnlich vor. Bestimmt aber bemerkte ich nicht, dass eine Zwei-Meter-Brandung bei derart hoher Dünung Brecher auf Brecher hervorbrachte, durch die man nie und nimmer hindurchpaddeln konnte. Weder erkannte ich, dass das sich durch die Sandbank zwischen Lagune und Meer ziehende Flussbett eine Gegenströmung erzeugte, durch die man sicher zur eigentlichen Brandung hinauspaddeln kann, noch, dass die Wellen dort nie brachen, da sie in einem Tiefwasserkanal strömte. Ich wusste nicht mal, dass Wellen in Gruppen kamen, weshalb ich auch nicht die Pause dazwischen abwartete. Und selbst wenn ich bemerkt hätte, wie groß die Wellen vor der Bucht waren, wäre mir bestimmt nicht klar gewesen, dass sie meine Fähigkeiten überstiegen. Und dieses Kapitel sollte ich auch nie lernen, denn wie ein Idiot paddelte ich direkt vom Sand aus los, fiel vom Board, trieb mit vier oder fünf Knoten nach Süden ab und blieb zu lange tief unter Wasser.
    Während ich noch das Wasser von meinem letzten Waschgang spuckte, sah ich, wie sich die nächste, von Gischt durchzogene und mit schlickbraunem Schaum aus dem überschwemmten Flussbett umrandete Welle grau-schwarz auftürmte, und mir wurde klar, dass ich ertrinken würde, wenn ich es nicht an Land schaffte. Dieser Gedanke ging mir mit beunruhigender Nüchternheit durch den Kopf: Tja, ich werde ertrinken. Aber Surfboards schwimmen, und Schwimmen war plötzlich eine tolle Idee: Zieh an der Leash, klettere aufs Brett, wende Richtung Land und halt dich fest. Der Kamm brach drei Meter vor der Welle, und die Gischt flog an mir vorbei, bis die Wand aus Weißwasser mich umherwirbelte. Ich übertreibe nicht zu sehr, wenn ich sage, dass sich
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