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Surf

Surf

Titel: Surf
Autoren: Daniel Duane
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Vorwort

     
    Es ist furchtbar dunkel, wenn man in kaltem Wasser ertrinkt, zumindest kam es mir so vor. Ich war klaustrophobisch, weil sich meine Lunge füllte, agoraphobisch wegen der Leere unter mir, und mir war, als beobachtete ich, wie sich meine Asche am Himmel verteilte: ehrfürchtig und einsam. Die Wellen, die mich unter Wasser hielten, waren ziemlich hoch, aber mein nahe bevorstehender Tod hatte eher damit zu tun, dass ich kaum etwas über sie wusste. Ich hatte mein Board losgelassen (die Leash, die Sicherheitsleine, war an mein Fußgelenk gebunden), denn es festzuhalten hätte in etwa bedeutet, ein Segel bei Sturm festhalten zu wollen: zu viel Angriffsfläche. Deshalb hatte ich versucht, ohne das Brett unter den Brechern durchzutauchen, war so tief hinuntergegangen, wie ich konnte, während sich die Wellen über mir donnernd brachen. Als ich zum dritten Mal hochgekommen war und bei jedem Auftauchen mehr Wasser in der Lunge hatte als vorher, befand ich mich über hundert Meter vom Strand entfernt, in einer Strömung, die eine Sandbank vor der Küste umspülte. Der Karotten-Kleie-Muffin und die zur Hälfte mit dunkel geröstetem Celebes Kalosi gefüllte Thermosflasche, die mich im Wagen erwarteten, trösteten mich kaum, während eine Welle nach der anderen aus der Tiefe emporwogte, sich an der Sandbank aufbaute, wieder zurückströmte und mich wie eine Stoffpuppe in das kältere, dunklere Wasser schleuderte. Auch die Strömung zog südwärts, sodass ich bald vor der offenen Steilküste treiben würde, wo ich nirgends an Land klettern konnte. Erneut herumgewirbelt und zurück in der Dunkelheit, griff ich, lange bevor die nächste Welle losbrach, nach der Wasseroberfläche, fuchtelte im Strudel herum und verschwendete Sauerstoff, den ich eigentlich brauchte, um am Leben zu bleiben. Zudem hielt ich die Augen nach diesem ersten Blick in den Abgrund – wozu sollte der auch gut sein? – fest geschlossen, und es dauerte so lange, bis ich wieder hochkam, dass ich schließlich tat, was meine Lunge forderte, und meinen Mund öffnete, um etwas, irgendetwas , einzulassen. Ich schluckte Schaum – teils Wasser, teils Luft – und hustete ihn noch aus meiner Luftröhre, als bereits die nächste Welle brach.
    Ich wohnte in Berkeleys wunderbarem Edel-Ghetto, verkaufte Gore-Tex-Jacken und lange Designer-Unterwäsche an einem Stand (besser gesagt: an einem Boutique -Stand) und lebte noch zusammen mit meiner Freundin Susan, mit der ich eigentlich nicht mehr zusammen war (derzeitiger Status: vermutlich ohne feste Beziehung), in einer Einzimmerwohnung mit Holzfußboden und Blick auf die Bucht, im dritten Stock eines Hauses, in dem auch acht meiner ältesten Freunde – alle schrecklich erfolgreich – wohnten. Vielleicht, um diesen Leuten gegenüber das Gesicht zu wahren, hatte ich mich bislang noch nicht dazu hinreißen lassen, mich zum sinnlosen Rauschen des Wetter-Kanals zu betrinken, den Weg der arktischen Unwetter über dem Golf von Alaska zu verfolgen und dreimal täglich im Radio den Seewetterberichten für die Küste zu lauschen, als handele es sich um päpstliche Verkündigungen von den Stufen des Petersdoms – was diese Wettervorhersagen in gewisser Hinsicht allerdings sind. Nur gelegentlich raffte ich mich auf, fuhr über die San Francisco Bay Bridge, vorbei an den kitschig-pastellfarbenen Häuschen von Daly City und Pacifica – tristen kleinen Städtchen an diesem verschandelten Abschnitt der Pazifikküste –, um zu den Stränden zu gelangen, über die ich bis dahin kaum etwas wusste; und noch nie hatte ich je mein Tagewerk im Hinblick auf die Ebbe geplant. Ich brachte es sogar immer noch fertig, T-Shirts zu falten, Zeltstangen zu inventarisieren und Skistiefel zu schnüren, auch wenn ich am Vorabend einen Wetterbericht für Surfer abgefragt hatte. Die kratzige Tonbandaufnahme des San Francisco's Wise Surfboards war im typischen kalifornischen Akzent besprochen, der tief aus der Kehle kommt und bei dem man die letzte Silbe jedes Wortes dehnt: «Also, Jungs, heute geht's da draußen so richtig zur Sache. Sechs, sieben Meter hohe Wellen brechen sich eine halbe Meile vor der Küste – auf jeden Fall ein Tag für sicherere Häfen.» Aber man hört natürlich, was man hören will (das Wort, falls Sie es nicht kennen, lautet Hybris:  Hybris: N . übermäßiger Stolz oder Selbstbewusstsein; Arroganz. Syn . Übermut, Unverschämtheit. Ant. Bescheidenheit, Zurückhaltung).
    Ich war um fünf Uhr aufgestanden, hatte nichts
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