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Surf

Surf

Titel: Surf
Autoren: Daniel Duane
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in Berkeley zum Mittagessen, also ging ich hinunter zum Geländer an der Klippe, um mir nach einem Jahr mit tollen Sonnenuntergängen meinen letzten anzusehen. Erst einmal sah ich wieder den Architekten, der am Geländer lehnte: Auch er hatte die Frühjahrs-Nordwestwinde im Kopf. Er hatte versucht, ein Gedicht über die Zypresse vor seinem Fenster zu schreiben, darüber, wie sie ihm jede Bewegung des Windes offenbarte, er hatte von seinem Strandhütten-Panoptikum aus die wirbelnde Welt festgehalten.
    Ich überlegte laut, ob er ein Gedicht von A. R. Ammons kannte: «Das Schilf / gibt dem Wind nach / und gibt / den Wind preis.»
    Nein, gab er offen zu, aber er kannte Jeffers' Gedicht über die Schaumkronen der Wellen: das Meer «geweißt vom Flug des Falken». Nicht mythologisch, beharrte er und führte die Chaostheorie an, laut der ein Schmetterlingsflügelschlag in Arabien einen Hurrikan in Florida verursachen kann. Und Gedichte, sagte er, sind wie besagter Schmetterling die 0,02 Prozent am Boden aller Statistiken, die wir sowieso immer vernachlässigen, weil wir sie für unbedeutend erachten. Daher rückt die Anziehungskraft des Meeres, eine Bindung an das ewig Unbekannte dieser Welt, eine tägliche Dosis Wildheit. «Ein Schritt von diesem Strand ins Meer, und du bist in wahrer Wildnis», sagte er, «keine Entweder-Oder und keine Halbheiten. Diese Energien da draußen» – und er zeigte auf eine große, vom Wind erzeugte Wellenreihe – «eine Geometrie im Chaos, unbehindert durch den Menschen. Nichts verlangsamt oder verändert diese Energie. Und du spürst sie sogar, wenn du am Strand entlanggehst und einem Seelöwen in die Augen siehst.»
    (Noch einmal Ammons: «Ich fand / ein Kraut / das hatte / einen Spiegel in sich / und der Spiegel / schaute in / einen Spiegel / in / mir der / hatte ein Kraut in sich.») Ich erzählte ihm von meinem fürchterlichen Tag allein in dem monströsen Schaum, vor schäumenden Wänden, und dass ich ziemliche Angst hatte.
    Er knurrte etwas, sagte, er schwimme lieber nackt.
    «Ich habe schon vor langer Zeit alle Ausrüstung aufgegeben», sagte er. «Ich war genau wie du, weißt du», und er machte mit seiner breiten Hand voller Altersflecken eine Bewegung, als gleite und stoße er durch Wasser. «Klar, da ist Zeug drin, das da nicht rein gehört, und der Scheiß ist im Wasser und in der Luft und überall. Aber ich hab's nicht so mit Ökologie. Mich interessiert mehr die Energie selbst, diese flüssige Kraft auf meinem Körper.»
    Aber, erwiderte ich ihm, diese mehr als drei Meter hohen schäumenden Biester … das ist schon eine Menge Energie, wissen Sie?
    «USS Wasp », sagte er achselzuckend, die Augen gesenkt, «Flugzeugträger in philippinischen Gewässern, wir hatten über 25 Meter hohe gläserne Berge aus Wasser zu bezwingen. Wenn sich das Schiff nach einer Seite neigte, konnte man Wasser sehen so hoch wie die Zypresse dort drüben, die große, grüne ganz oben auf dem Hügel.» Ich sah hinüber, für einen Moment von der Größe meiner eigenen Wellen abgelenkt, und sah den großen Baum, der sich vor der Spätnachmittagssonne über der Zementstatue eines Wals als schwarze Silhouette abzeichnete. «Dann drehte sich das Schiff, und man sah nichts als Himmel; dann ging's wieder runter. Und dann hörte ich das schwache Knattern eines alten Dieselmotors – put, put, put –, ein kleines chinesisches Fischerboot mit drei Burschen, die ganz ruhig einen der Berge hochtuckerten und auf der anderen Seite wieder runter. Als ich in der Nacht zu schlafen versuchte, schlug der Bug immer wieder in die Wellen, und der über dreihundert Meter lange Flugzeugträger wackelte und haute meinen Schädel gegen das Schott.»
    «Also mein Onkel», entgegnete ich in einem Reflex, mithalten zu wollen, «ist Kapitän bei Chevron und fährt auf der Strecke zwischen Anchorage und San Diego. Er sagt, die größten Brecher habe er im Golf von Alaska erlebt, wo die Wellen den Tanker umschlangen und Kräne und Laufplanken wegrissen.»
    Der Architekt ließ das auf sich wirken, blinzelte hinüber zu einem flachen, eckigen Fischkutter an der Pier. «Wildnis ist schon okay», sagte er. «Darum lebe ich hier. Du musst schon sehr weit nach Norden fahren, um so etwas in der Art zu finden.» Wir sahen beide einem kleinen Jungen zu, der mit Eimerchen und Schaufel hinunter zum Strand watschelte. Ich wechselte das Thema und erzählte ihm, dass ich in ein paar Ebbesielen gestochert hatte.
    «Das mache ich nie», sagte er
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