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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter
Autoren: Karen Gravano
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Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenkrampfte, als ich mit dem Mietwagen auf den ausgedehnten Komplex trister Betonbauten zusteuerte. Das Gefängnis, in dem mein Vater einsaß, sah noch unheimlicher aus, als ich es mir vorgestellt hatte, isoliert am Ende einer schmalen, nicht asphaltierten Straße, sechzig Meilen von der nächsten Stadt entfernt und umgeben von Bergen und vier Meter hohen Stacheldrahtzäunen.
    Mein Vater war in diese Anstalt verlegt worden, nachdem er zwei Jahre in Einzelhaft in einem geheimen Bundesgefängnis und weitere fünf im ADX in der Nähe von Florence im Bundesstaat Colorado verbracht hatte. ADX, auch bekannt als das »Alcatraz der Rockies « , ist ein »Supergefängnis« ausschließlich für Männer, das einige der gefährlichsten Kriminellen des Landes beherbergt: hochrangige Mafiosi, Terroristen und Serienmörder.
    Es war fünf Jahre her, dass ich meinen Vater, Sammy »the Bull« Gravano, das letzte Mal von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Damals war unser Besuch nicht sehr harmonisch verlaufen. Einen Großteil der Zeit hatten wir uns gestritten. Genau wie mein Vater war auch ich sehr stur, und wir waren nicht immer derselben Meinung. Ich hoffte, dass sich das Ganze diesmal nicht wiederholen würde, insbesondere, weil mich meine Mutter, meine neunjährige Tochter Karina und mein zehnjähriger Neffe Nicholas begleiteten.
    Während mein Vater im ADX eingesperrt war, konnte man kaum mit ihm telefonieren. Er verbrachte insgesamt sieben Jahre in Einzelhaft und durfte nur einmal im Monat ein maximal fünfzehnminütiges Telefongespräch führen. Wenn ich zufällig nicht zu Hause war, musste er einen ganzen Monat warten und es dann erneut versuchen. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn wir miteinander sprachen, wirkte er frustriert und zornig. Fünf Jahre lang verbrachte er dreiundzwanzig Stunden täglich in der Zelle. Außer seinem monatlichen Telefonat war ihm keinerlei Kontakt zur Außenwelt gestattet. Er duschte und nahm sämtliche Mahlzeiten in seiner winzigen Zelle ein, die in einem Flügel lag, wo die Lichter vierundzwanzig Stunden am Tag an blieben. In jeder Zelle befand sich zudem eine Überwachungskamera.
    Der einzige Mensch, der ihn im ADX Florence besuchte, war meine Mutter. Sie erzählte mir, er sei in einem Käfig mit Rädern in den Besucherbereich gebracht worden, wie Hannibal Lecter in dem Film Das Schweigen der Lämmer . Er war in einem Spezialtrakt für Schwerverbrecher untergebracht. Jeglicher Körperkontakt war untersagt. Sie durften sich nicht einmal an den Händen halten und mussten durch eine kugelsichere Panzerglasscheibe miteinander sprechen. Sie nahmen ihm für die Dauer des Besuchs nicht einmal seine Fußschellen ab.
    Die Jahre des Eingesperrtseins und der sozialen Isolation forderten ihren Tribut. Während seiner Zeit im ADX rief er mich einmal an und begann mir von den Wanzen zu erzählen, die ihn abends in der Zelle besuchten. Das regte mich wahnsinnig auf. Er scherzte, dass sie seine »Freunde« seien. Aus lauter Langeweile habe er ihnen sogar Namen gegeben. Anschließend hatte ich monatelang Albträume. Er sagte, er wolle nicht, dass ihn jemand besuchte, und stattdessen lieber Briefkontakt halten.
    Schließlich wurde mein Vater aus der Einzelhaft entlassen. Er klang nun weitaus weniger zornig und mehr wie der Mann, den ich aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte. In Einzelhaft hatte er sich für seine Familie nutzlos gefühlt, was sehr frustrierend für ihn gewesen war. Die Telefongespräche mit ihm hatten Erinnerungen an glücklichere Zeiten wachgerufen, und ich hatte angefangen, ihn zu vermissen. Meinem Vater ging es nicht gut, und ich wusste nicht, wie lange er noch zu leben hatte. Man hatte im Gefängnis die Basedow’sche Krankheit bei ihm diagnostiziert, eine chronische Schilddrüsenerkrankung, die das gesamte Immunsystem beeinträchtigt. Ich fürchtete, er könnte über kurz oder lang der Krankheit erliegen. Die schlechte medizinische Versorgung und die Tatsache, dass er nicht die Bewegung hatte, die er eigentlich gewohnt war, bereiteten mir Sorgen.
    Aufgrund seines »Prominentenstatus« als Mafiaboss war er in einem Hochsicherheits-Bundesgefängnis an einem geheim gehaltenen Ort eingesperrt. Wir waren aus Arizona mit dem Flugzeug hergekommen und in einem Hotel am Flughafen abgestiegen, weil es in der Nähe der Strafanstalt keine anderen Unterkünfte gab.
    Die Sonne ging gerade über den Hügeln auf, als ich die Kinder weckte, sie fertig machte und
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