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Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
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mich.«
    Kamil wartete.
    Er machte ein Feuer und kochte Kaffee. Er sah nach den Fenstern, die sich bei der Hitze verzogen, er kehrte die Spinnenweben von der Decke und suchte im Schrank nach zwei Tassen, für sich und für Cem, der für ihn war wie ein Sohn, obwohl er ihn nur selten sah. Die Geschäfte in Deutschland gingen gut für den Sohn seines Bruders, des Bruders, auf dessen Rat er ein einziges Mal nicht gehört hatte.
    Über dreißig Jahre zuvor, an einem Winterabend, der ungewöhnlich kalt gewesen war, hat er im Teehaus einen Telefonhörer aufgelegt, nachdem seine Liebe ihm erzählt hat, da sei ein Kind geboren. Sein Kind, seine Tochter, und sein Verstand hat ihm gesagt: Lüge!
    Seine Zunge hat spitze Worte gesprochen, sein Herz aber die Wahrheit gehört, und seine Ohren haben ein Wort vernommen, das klang wie gestorben.
    »Kamil«, hat Do ğ an gesagt, »warum sollte sie lügen? Glaubst du, Julka lügt?«
    »Sie ist ohne ein Wort von hier weggegangen«, sagte Kamil.
    »Sie wird ihre Gründe gehabt haben.«
    »Welche sollten das sein, außer dass sie gemerkt hat, dass sie schwanger ist von einem anderen.«
    »Frag sie. Ruf sie an. Sprich mit ihr. Julka lügt dich nicht an«, sagte Do ğ an.
    »Nein«, sagte Kamil. »Jetzt nicht mehr. Das Schicksal hat mich hierher zurückgeschickt, damit ich bleibe.«
    In einem winzig kleinen Winkel seines Herzens aber dachte Kamil, dass Do ğ an recht hatte. Julka hat ihn noch nie angelogen. So ist er zu Ayse gegangen und hat ihr alles erzählt.
    »Julka hatte ein Kind und das ist gestorben?«, hat Ayse gefragt, immer wieder. »Ein Kind von dir?«
    Und je öfter sie darüber gesprochen haben, über Julka und das Kind und das Gespräch, umso wahrer wurde es, dass seine Tochter gestorben war, und umso leichter auch, sich zu entscheiden, bei Ayse und den anderen Kindern zu bleiben.
    »Suna wäre ihr Name gewesen«, waren seine Worte, »das ist die Tradition.«
    »Sie wird Suna heißen, es wird der Name sein, mit dem wir uns jeden Tag an deine Tochter erinnern«, hat seine Frau gesagt, mit Tränen in den Augen, die er sich nicht erklären konnte.
    Dankbar war er für seine vier Kinder, die er hat aufwachsen sehen zwischen Ziegen, wie er selbst einst groß geworden ist, und er dachte, dann soll es nicht sein, dass Kamil Yurdagül etwas anderes wird als ein anatolischer Bauer, der nur noch dann an Julka denkt, wenn in der Schreinerwerkstatt sein Blick auf die Werkzeuge aus Deutschland fällt.
    Denn die hat sie ihm regelmäßig geschickt. Und alle paar Jahre Ersatzteile, deren Seriennummern er mit zittriger Hand auf einen Briefbogen notiert hat, ohne persönliche Worte dazu, vielleicht sieben oder acht Mal.
    Ein guter Schreiner ist er geworden, auch mit Dichterhänden und auch trotz der traurigbitteren Reden von Ayse. Ein guter Vater ist er geworden für seine Söhne und Töchter, und als die Enkelkinder kamen, da dachte er oft an Emine und ob sie glücklich war.
    »Onkel«, sagte Cem, und Kamil küsste seinen Neffen, den ältesten Sohn seines Bruders Do ğ an. Tränen stiegen ihm auf, als er daran dachte, wie er im vergangenen Jahr gestorben war.
    »Weine nicht, Onkel«, sagte Cem.
    »Es ist wegen deinem Vater«, sagte Kamil, und Cem legte die Hände auf die Schultern seines Onkels, schob ihn sanft auf ein Kissen am Boden und setzte sich zu ihm.
    Aus Deutschland kommt er, wie jeden Sommer. Fast riecht er noch danach, dachte Kamil.
    »Onkel«, sagte Cem und zog einen Umschlag aus seiner Tasche, »Onkel, ich habe Neuigkeiten von deiner Tochter aus Deutschland.«
    Kamil sah Cem ungläubig an.
    »Emine?«, fragte er.
    Cem lachte.
    »So ist es«, sagte er und er öffnete den Umschlag und las einen ersten Brief vor, mit herzlichen Grüßen, und breitete Bilder aus auf dem Boden, damit Kamil sie sich ansehen konnte.
    Bilder von Kindern, die genauso aussahen wie die Enkel um ihn herum. Ja, das sah er, das war seine Tochter.
    »Sind das die Kinder von Emine?«, fragte Kamil.
    »So ist es, Onkel«, sagte Cem.
    »Es geht ihnen gut?«
    »Es geht ihnen gut«, sagte Cem.
    »Sagst du mir die Namen?«
    Cem nannte die Namen.
    »Deutsche Namen«, sagte Kamil, »deutsche Kinder.«
    »Ja, Onkel«, sagte Cem und rührte sich schnell einen Löffel Zucker in den Tee, was er sonst nie tat. Kamil war das nicht entgangen.
    »Du hast noch mehr?«, sagte er und zeigte auf den Umschlag, der noch immer recht dick war.
    »Ich habe noch mehr«, sagte Cem und zögerte.
    »Was hast du, Cem?«
    »Nichts, ich
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