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Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
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Kızım
    Niemals schläfst du.
    Nicht im Arm. Nicht im Kinderwagen. Nicht in der Wiege. Nicht an der Brust.
    Stattdessen tragen wir dich, wach und aufmerksam, in unserer nächtlichen stillen Wohnung umher und summen müde die Melodien deiner Schlaflieder. Hundertfach.
    Das gibt sich, so hatten wir im ersten Sommer gedacht, das gibt sich.
    Sie hat nichts.
    Sie ist nur nicht müde.
    Das kommt schon, sagten wir im Herbst.
    Eines Tages.
    Nur noch ein bisschen, ein kleines bisschen Geduld.
    Aber jetzt ist schon der zweite Winter hereingebrochen, mit seinem eisigen Ostwind und meterhohen Schneeverwehungen auf den Landstraßen, und noch immer bist du in den Nächten hellwach.
    Ganz am Rande unseres Dorfes steht das winzige Haus, das Tom und ich vor ein paar Jahren gefunden haben. Man übersieht es fast, so hingeduckt ist es am Fuß eines steilen Abhangs, darüber Felsen und ein unzugänglicher kleiner Wald.
    Reich sind seine Erbauer nicht gewesen, aber reich ist hier niemand geworden, nicht inmitten dieses Landstrichs, der schon immer von Verzicht und Entsagung geprägt war.
    Karge Weideböden und ertragsarme Felder, harte Winter und staubige Sommer bestimmen das Landschaftsbild. Im porösen Kalkboden hält sich das Wasser nicht, stattdessen gräbt es sich unterirdische Höhlen und tritt an unerwarteter Stelle reißend wieder zutage.
    Dein Großvater Johannes ist aufgewachsen im Karst, und ich höre beim Umherstreifen mit euch draußen noch immer seine Stimme, wie sie uns Kindern damals von den unsichtbaren Kräften erzählt hat, die in der Tiefe der Karstgebirge wirken und an der Oberfläche trichterförmige Senken formen können, manchmal sogar schlauchartige bodenlose Schlunde, so eng und schwarz, als führten sie direkt in die Hölle.
    Tom und ich haben uns entschieden, hierherzuziehen, als ich mit deinem älteren Bruder schwanger war. Zuvor war Berlin für beinahe ein Jahrzehnt meine Heimat gewesen, aber kein Ort für mich, um meine Kinder aufwachsen zu sehen. Ihr solltet auf dem Land groß werden dürfen, wie dein Vater und ich.
    Auf den ersten Blick war mir im Dorf vieles vertraut er schienen. Zwar nicht genau diese Hügel, nicht diese Wälder, nicht genau dieser Dialekt, der sich hier auf der Hochfläche schon von Ortschaft zu Ortschaft stark unterscheidet – aber hier hat man uns ein Haus geboten und nur wenig Miete verlangt.
    Unsere neuen Nachbarn brachten zum Einzug Brot und Wurst aus eigener Herstellung, manche auch selbstgebrannten Schnaps. Direkt vom Krautland kamen sie und strichen sich mit erdigen Händen die ersten Frühlingssonnenstrahlen von der Stirn, bevor sie auf unseren Keller wiesen und dann auf unsere Küchenfenster und dabei sagten: »Früher war hier die Bäckerei und da ein Krämerladen.«
    Ich führte sie stolz auf unserem Grundstück herum und zeigte ihnen die alten Mehlwannen auf ihren schiefen Böcken und die ausgebeulten Teigbottiche, die ich im ehemaligen Hühnerstall gefunden und mit Sommerkräutern bepflanzt hatte.
    Verschwitzt vom Bemühen, für uns im Hochdeutschen die richtigen Worte zu finden, und fröhlich vom Schnaps, erzählten sie schließlich, wie sich der alte Bäcker mit dem Messner von gegenüber damals in die Haare bekommen hatte, wegen der frühmorgendlichen Geräusche aus der Backstube.
    »Und wegen der Frau!«, riefen sie. Die war nämlich dem einen davongelaufen, um fortan beim anderen den Ofen zu heizen. Sie berichteten, wie man den Laden gemieden hatte, wenn man auf Seiten des Messners stand, und doppelt so viel Brot gekauft hatte, wenn man es mit dem Bäcker hielt.
    Sie erzählten, wie der Bäcker irgendwann schließen musste, »weil’s nimmer ging, gesundheitlich«, und die Dorf­ gemein­schaft entschieden hatte, ein Backhaus herzurichten – so dass die Dörflerinnen ihren Brotteig dort ausbacken konnten, »und rumsitzen und tratschen mit den anderen«, lachten sie.
    Ich sog ihre einfachen klaren Geschichten auf und verleibte sie mir ein. Ich war jetzt umgeben von Menschen, die ihr Leben mit nichts anderem zugebracht hatten, als Nahrungsmittel anzubauen, die zurechtgekommen waren mit den Widrigkeiten des Klimas und der Böden und darüber alt geworden sind. Das wollte ich hören von ihnen. Weil ich eine so starke Sehnsucht nach einem einfachen und übersichtlichen Leben hatte.
    In den Nächten wurde die Straßenbeleuchtung abgeschaltet, und wenn der Mond nicht schien, sah man draußen die Hand nicht vor den Augen. Dann hörte ich Schritte auf dem Hof und Stimmen
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