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Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
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»Ruhig.«
    Dieser Fahrer nahm seine Sache offenbar ernst, denn er hupte nicht nur einmal, sondern zweimal.
    Die Esel scheuten und rissen am Seil. Zeki stolperte und fiel.
    Die Hälfte der Tiere wurde von der Polizei eingefangen. Man brachte sie den beiden Waisenjungen zusammen mit Zekis Leichnam. Am Tag der Beerdigung riss sich der Onkel nicht nur Zekis Vermögen, sondern auch die Herde unter den Nagel und verkaufte sie zu einem sehr guten Preis an einen anderen Viehhändler. Die Brüder sahen nicht eine Lira von ihrem Erbe.
    Tante Ipek sagte später, Zekis Tod sei das erste Zeichen gewesen dafür, dass die neuen Zeiten Unglück bringen würden über die Familie.
    »Erst ist es ein Eselhändler, der von einem Lastwagen getötet wird«, sagte sie, »und dann werden unsere Söhne vergessen, wie man den Weizen erntet.«
    »Unsinn«, sagte der Onkel, »wie soll es anderswo schon sein? Überall auf der Welt muss man Felder bestellen, um zu essen zu haben.«
    »Was weißt du schon von der Welt«, sagte Tante Ipek.
    Es war Tante Ipek, die Do ğ an ungefähr zehn Jahre nach dem Tod seines Vaters beiseitenahm und ihm sagte, er solle nach Yozgat gehen.
    »Dort gibt es neuerdings ein Büro. Sie suchen Männer, die wegwollen aus der Türkei. Geh hin und erkundige dich. Vielleicht wirst du eines Tages dein Frankreich sehen«, sagte sie.
    Do ğ an hörte auf seine Tante und unterschrieb, ohne zu zögern, die Formulare des Anwerbers.
    »Deutschland«, sagte er zu Tante Ipek.
    »Nimm mich mit«, sagte Kamil.
    Dies ist der Anfang gewesen, kızım , und jetzt bleiben uns noch sieben Tage, bis wir selbst Tante Ipeks Ziegenkäse probieren können.
    In sieben Tagen werde ich das erste Mal meiner türkischen Familie begegnen, und sieben Nächte habe ich jetzt noch, um dir die ganze Geschichte zu erzählen, die verschlungen und geheimnisvoll ist wie ein uralter, üppiger Garten.
    Du sollst sie als Erste hören, kızım , denn ohne dich hätte ich sie nicht entdeckt.

Erste Nacht
    Es hat wieder begonnen zu schneien.
    Hast du deinen großen Bruder heute Morgen gesehen, wie er hinter den Schneeflocken hergerannt ist, und erinnerst du dich, wie er seine Schneebälle anschließend geschwisterlich mit dir geteilt hat, kızım ?
    Tom war nachmittags mit ihm im Wald und hat für uns einen Weihnachtsbaum geschlagen, genau wie die anderen Männer im Dorf. Ich wollte währenddessen Zimt­sterne nach unserem Familienrezept backen, aber sie sind nichts geworden und dein Bruder hat ziemlich viel Teig roh gegessen. Zum Glück hat er keine Bauchschmerzen davon bekommen.
    Nachher muss ich nochmal raus, um Holz zu holen für den Küchenofen, die Glut wird uns nicht mehr lange wärmen. Und wir dürfen nicht vergessen, nach der Wasserleitung im Bad zu sehen, die friert so leicht ein, weil die Wände so dünn sind und der Ostwind seit Tagen schon klirrend kalt auf ihnen steht.
    In sieben Tagen steigen wir in ein Flugzeug und fliegen nach Istanbul. Danach geht es mit dem Bus weiter, vielleicht mit einem Mietwagen. Cem organisiert das, ich habe mir die Ortsnamen nicht alle merken können.
    Wenn Cem etwas organisiert, packt man die Pläne und Karten, die er einem gibt, am besten in eine Mappe und verweist immer darauf, wenn er fragt, ob man über dies oder das Bescheid wisse. Wenn man nicht mit der Mappe winkt, druckt er alles noch einmal aus. So ist er, mein Cousin.
    Komm, wir gehen zu unserem Baum, ich zeige dir die ­Sachen aus unserer Weihnachtskiste. Es ist der Weihnachtsschmuck deiner Urgroßmutter Irma. Sie hat ihn mir vor einigen Jahren zusammen mit ihren Rezepten vermacht. Dazu musst du wissen, dass Irmas Kochbücher beinahe hundertfünfzig Jahre Familiengeschichte versammeln. Sie kam aus einer Pfarrersfamilie, fast kann man sagen, aus einer Pfarrersdynastie – es hatte immer einen Sohn gegeben, der die Tradition fortgeführt hat.
    In ihren Kochbüchern finden sich außerdem Tagebucheinträge, an den Rand geschriebene Notizen zu Bräuchen in der Familie und manchmal auch ausgeschnittene Zeitungsartikel, die sie als Lesezeichen verwendete.
    Sie hatte ihre Geheimnisse, aber manche, wie ihr Zimt­sternrezept, hat sie an mich weitergegeben. Ich achte immer darauf, ihre Ordnung beizubehalten und die Zettel nicht zu verlieren. Einer davon war die Taufanzeige ihres einzigen Sohnes Johannes.
    Johannes
    Du magst deinen Großvater Johannes sehr, und er wieder­um hat nur Augen für dich, wenn wir ihn und seine zweite Frau Claudia besuchen.
    Seit einiger Zeit
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