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Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
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setzt er sich schon nicht mehr zu uns an den Tisch, sondern geht unruhig in seinem Rosengarten umher, immer mit einer Pfeife im Mundwinkel. Hin und wieder wirft er uns durch die großen Panoramafenster einen Blick zu, vielleicht erkennt er aber auch nur sein eigenes Spiegelbild. Wenn wir hinausgehen und ihn schweigend begleiten, lächelt er mit dir und macht Kringel mit seinem Pfeifenrauch.
    Bei unserem letzten Besuch, im Oktober, hat er »Rosa Borbonica« zu dir gesagt, und als wir zu Hause ankamen, fanden wir in unserem Kofferraum einen Rosenstock in einem ordentlich verschnürten Karton, das Wurzelwerk sorgsam in Holzwolle eingeschlagen. Rosa Borbonica, Souvenir de la Malmaison. Sie blüht im Juni, genau zu deinem Geburtstag.
    Wenn wir nachmittags zum Kaffeetrinken kommen, deckt Claudia eine schöne Tafel, mit silbernem Besteck und dem Kaffeeservice für sonntags. Auch unter der Woche.
    Tom und ich setzen uns auf frisch polierte Holzstühle aus Johannes ’ Elternhaus und fragen vorsichtig, wie es so geht mit ihm.
    Sie lächelt meistens und spricht Sätze wie: »Das Alter bringt neue Sorgen mit sich«, und füllt uns frisch gebrühten Kaffee in die Tassen. Auch Johannes schenkt sie welchen ein, obwohl ihr klar sein muss, dass er höchstwahrscheinlich unberührt bleibt. Sie schneidet sogar ein Stück vom Marmorkuchen für ihn ab und legt es ihm auf den Teller.
    Er wird es jedoch erst dann mit seiner Kuchengabel in exakt gleich große Würfel zerteilen, sie einzeln zum Mund führen und mit der Zunge langsam zerdrücken, wenn wir sein Haus verlassen haben und uns draußen auf dem Hof von Claudia verabschieden.
    Wenn wir euch im Kindersitz angeschnallt und den Motor gestartet haben, kommt er aber doch überraschend behände bis ganz vor an den Zaun – und winkt uns nach.
    Er hat uns immer nachgewunken.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass er als Nächstes auf das Winken verzichtet.
    Johannes war das einzige Kind in einer Gemeinschaft, zu der seine Tante Thea gehörte, seine Mutter Irma und die Omama, seine Großmutter mütterlicherseits. Sein Vater Albrecht ist zwar im Krieg, aber nicht im Gefecht gestorben, sondern an Typhus. Das einzige Bild, das es von Al­brecht Wackermann gibt, ist eine überbelichtete Fotografie, die den Pfarrer in Wehrmachtsuniform zeigt.
    Irma achtete in den folgenden Jahren sehr darauf, dass ihr Sohn sich vom Profanen und allzu Kindischen fernhielt, und Johannes gehorchte seiner Mutter. Er war kein gewöhnlicher Vierjähriger und auch kein gewöhnlicher Achtjähriger. Nicht einmal die jährliche Zirkusvorstellung wollte er besuchen, so sagte er der Mutter, und genoss ihr kurzes Erstaunen, das unbedingt dazugehörte, und ihre anschließende Zufriedenheit mit seiner so ungewöhnlich vernünftigen Entscheidung.
    Später jedoch wanderte er, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, durch die kargen Wälder seiner schwäbischen Heimatstadt und sah hinunter auf die miniaturgroßen Häuschen, die entlang des Baches gebaut worden waren und so aussahen wie die Modelle, die Irma beim örtlichen Schreiner für ihn anfertigen ließ.
    Beim Spiel mit ihnen spürte er manchmal eine zähe heiße Kraft – wenn er sie aufbaute und versetzte, wenn er Menschen darin wohnen ließ und Tiere in ihren Ställen platzierte, wenn er so ganz im Allgemeinen ein Erbauer war. Dann hoffte er, über eine solche Stärke zu verfügen gehöre auf eine ganz natürliche Weise zum Erwachsensein; er würde alles daransetzen, möglichst rasch dahin zu gelangen.
    Gänzlich kalt ließ ihn das Zirkusgeschehen aber nicht, und so führte ihn eines Nachmittags ein Spaziergang wie zufällig an den Rand der Stadt. Man könnte ja mal schauen, wird er gedacht haben.
    Das Zelt stand festgezurrt in der Mitte des Platzes. Die Wimpelketten wehten bereits an den aufgespannten Schnü­ ren. Da sah er die anderen Kinder, wie sie in Horden, in schmutzigen Horden, fröhlich über die Kandl sprangen. Manches Mal gelang der Sprung nicht, und das betreffende Kind stürzte in die glitschige Rinne.
    Nein, mit solchen wollte er nichts gemein haben, nicht einmal für die Dauer einer Vorstellung, und wenn es doch irgendwo in ihm einen Funken Sehnsucht nach der Manege gegeben haben mochte, so erlosch er ganz sicher beim Anblick der nassen und schmutzigen Kinder.
    Der Zug bewegte sich lachend und johlend und mit einer beinahe widerwärtigen Leichtigkeit zum Zirkuseingang. Dort geriet er ins Stocken und der größte Junge – Johannes sah von seiner Anhöhe
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