Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
Vom Netzwerk:
Meer gefahren für dieses Gespräch.
    »Ich habe deine Briefe gelesen«, sagte ich. »Deine Briefe von damals, erinnerst du dich?«
    »Ich auch«, sagte Tom ruhig, »vier oder fünf Tage, bevor du angerufen hast. Es war ein Samstag.«
    »Bei mir auch«, sagte ich leise. »Bei mir war es auch ein Samstag, der vorletzte. Ich hatte Kopfschmerzen und dachte an dich. Am Samstag.«
    »Was für ein Zufall«, sagte Tom, und dann sagten wir beide gleichzeitig: »Aber Zufälle gibt es nicht.«
    Wir lachten.
    »Am Samstag«, sagte Tom.
    »Trotz Kopfschmerzen«, warf ich ein.
    »Trotz all der Zeit«, sagte Tom.
    Mein Tee kam. Ich nahm das Glas zwischen meine Hände. Dann sah ich Tom ganz direkt an.
    »Ich wollte wissen, was passiert, wenn du vor meiner Tür stehst«, sagte ich leise.
    Suna
    Bald danach war ich mit deinem Bruder schwanger und nichts deutete mehr auf mein früheres Leben hin, nicht einmal meine Platten standen im Wohnzimmer. Keine Last-Minute-Anrufe aufgebrachter Regisseure morgens um drei, mal eben noch schnell diese oder jene »Dialogtapete« zu verändern. Schon gar keine philosophischen Diskussionen, die uns ja sowieso nur wegen der Joints so un­gemein bedeutsam erschienen waren, behauptete ich dann.
    Stattdessen bekam ich endlich ausreichend Schlaf und lernte, mit echtem Gemüse zu kochen. Nach den Rezepten meiner Großmutter Irma, und meine Mittagessen begannen, nach den Sommerferien meiner Kindheit zu schmecken.
    Wir stellten unseren Fernseher in den Keller, nachdem ich Tom mit der ruhigen Bestimmtheit einer Schwangeren erklärt hatte, dass sowohl die Strahlen als auch die Geräusche, die aus einem technischen Gerät kamen, unser Baby irreparabel in seiner Entwicklung beeinträchtigen würden. Auch vorgeburtlich.
    Sanft, aber bestimmt verbot ich Tom, in Anwesenheit des Babys Bier zu trinken wegen des Geruchs, und natürlich durfte er auf keinen Fall mehr rauchen.
    Sogar meine Stricksachen holte ich heraus, ich glaube, Großmutter Giese hat es mir beigebracht, als ich zehn oder elf war. Und da konnte man Luisa Wackermann in einem schwäbischen Dorf in ihrem winzigen Häuschen auf ihrem Sofa sitzen und Jäckchen stricken sehen. Dieselbe Luisa Wackermann, die vor wenigen Monaten noch in Berlin gelebt hatte, nur den Weg zum Spätkauf kannte und Kleidung ausschließlich im Internet bestellt hat.
    »Von Gleich zu Gleich muss es sein, in der Liebe«, hat Großmutter Irma immer gesagt und warnend den Zeigefinger gehoben, wenn ich ihr im Überschwang allzu begeistert erzählt hatte von neuen Freunden und neuen Lieben. Von deinem Vater war sie allerdings von Anfang an überzeugt gewesen und überglücklich, ihn wieder zurück in der Familie zu haben.
    Julka und Andrusch freuten sich mit mir auf das Baby, und Magdalena schickte Pakete mit Kindersachen in Rosa und Hellblau.
    Johannes wollte etwas sagen zum Thema »Überbevölkerung« und der Rettung des Planeten durch das Aussterben der Menschheit, aber Claudia hielt ihn sanft zurück.
    Später bereitete ich für deinen Bruder Gemüsebrei nach anthroposophischen Ernährungsplänen zu, fror ihn por­tionsweise in Eiswürfelbehältern ein, sorgsam beschriftet.
    Wir kauften Dinkelkissen für die Kinderbetten, trugen euch in Tragetüchern aus Biobaumwolle. Unsere Gäste wiesen wir an, kein Plastikspielzeug zu bringen, wie alle Eltern das taten.
    Ich habe mich hineingelegt in mein neues Leben, das mit einem Male so reibungslos zu funktionieren schien, nach Regeln, die ich für uneinhaltbar für mich gehalten hatte. Vorsichtig hineingelegt habe ich mich, wie man sich in ein Schaumbad sinken lässt, angespannt, ob es nicht noch zu heiß ist.
    Ich kann es ja doch, hatte ich gedacht, nicht wenig erstaunt.
    Und dann wurdest du geboren, meine Tochter, und hast alle meine schönen Konstruktionen über den Haufen geworfen.
    Nichts davon zahlt sich aus, keine einzige Bemühung, keine Hingabe, kein Verzicht, dachte ich bitter an deinem Bettchen, wenn du wieder nicht schlafen konntest.
    »Du raubst mich aus«, dachte ich, wenn du am Mittag dann doch eingeschlafen bist und ich mich nicht hinlegen konnte, weil dein Bruder spielen wollte und Tom bei der Arbeit war.
    Ich begann meine abendlichen Rundgänge, mit dir im Arm, vielleicht ein kleines bisschen fester gehalten als nötig.
    Als würde das helfen.
    Du warst trotzdem nicht müde, sondern hast angefangen zu weinen.
    DU hast doch gar keinen Grund dazu, dachte ich böse.
    ICH hätte Grund gehabt, ich! Aber doch nicht du!
    Du bist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher