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Abschied von Eden

Titel: Abschied von Eden
Autoren: Faye Kellerman
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    Die Bewegung war so flüchtig, daß Decker sie bestimmt nicht wahrgenommen hätte, wäre er kein Profi. Er riß das Lenkrad nach links und trat voll auf die Bremse. Das braune Zivilfahrzeug quietschte und bockte und wechselte dann eigensinnig mitten auf der leeren Kreuzung die Richtung. In der Hoffnung, genauer feststellen zu können, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte, fuhr Peter Decker die menschenleere Straße zurück.
    Der Plymouth war schon wieder falsch eingestellt. Diesmal zog er nach rechts. Wenn er ein bißchen Zeit hätte, würde Decker sich selbst darum kümmern, den Wagen aufbocken und mal durchchecken. Die Polizeiwerkstatt war ein Witz. Überarbeitet und unterbezahlt, wie die Mechaniker waren, schufen sie meist ein neues Problem, wenn sie gerade eins behoben hatten. Unter den Kollegen wurden gern Wetten abgeschlossen, was als erstes kaputtgehen würde, wenn ein Fahrzeug aus der Werkstatt zurückkam – sechs zu eins war es ein leckender Kühler, vier zu eins ein verstopfter Vergaser, drei zu eins eine defekte Klimaanlage, wobei sich hier im Sommer die Chancen auf zwei zu eins erhöhten.
    Decker fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes rotes Haar. Die Gegend war wie ausgestorben. Was auch immer er gesehen hatte, es war wohl nichts Wichtiges gewesen. Um ein Uhr morgens spielten einem die Augen schon mal einen Streich. Parkende Autos wirkten in der Dunkelheit wie riesige Schildkröten, aus dünnen Zweigen wurden hängende Skelette. Selbst eine größere Wohnsiedlung wie diese verwandelte sich in eine Geisterstadt. Die Reihen hellbraun verputzter Häuser waren zu Hafermehlklumpen erstarrt, beleuchtet vom Mondschein und dem bläulichweißen Licht der Straßenlaternen an den Ecken.
    Er ging auf Kriechtempo herunter und schaltete das Fernlicht ein. Vielleicht war es nur eine Katze gewesen, in deren Augen sich das Licht widergespiegelt hatte. Doch das Leuchten hatte sich nicht auf eine bestimmte Stelle konzentriert, sondern war eher eine Welle winziger Blitze gewesen, wie von silbernen Fingernägeln, die über die Tastatur eines Klaviers gleiten. Aber als er nun hinausspähte, konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken.
    Die auf dem Reißbrett entworfene Siedlung war noch ganz neu, die Straßen rochen nach frischem Teer, die Bäume am Straßenrand waren gerade erst gepflanzt. Es handelte sich um einen dieser Kompromisse zwischen Umweltschützern und Baufirma, mit dessen Ergebnis keine der beiden Parteien zufrieden war. Seit den Schiebungen im Wahlkreis Northeast Valley sprangen sie sich ständig gegenseitig an die Gurgel. Dieses Projekt hier war rasch hochgezogen worden, um die Wogen zu glätten, doch der Krieg zwischen den Parteien war keineswegs vorbei. Dazu gab es noch viel zu viel unerschlossenes Land, über das man sich streiten konnte.
    Decker kurbelte die Scheibe herunter, lehnte sich zurück und versuchte, sich zu strecken. Irgendwann würde die Stadt vielleicht auch mal ein Zivilfahrzeug anschaffen, in dem jemand von seiner Statur genügend Platz hatte, doch bis dahin hing er immer mit den Knien unterm Lenkrad. Die Nacht war mild, und bis jetzt gab es auch noch keinen Nebel. Die Sicht war gut.
    Was, zum Teufel, hatte er gesehen?
    Wenn er am nächsten Tag arbeiten müßte, hätte er längst aufgegeben und wäre nach Hause gefahren. Doch an seinem freien Tag erwartete ihn nichts weiter als eine Verabredung zum Mittagessen mit einem Geist. Bei dem Gedanken drehte sich ihm der Magen um, und er versuchte, die Sache zu vergessen – ihn zu vergessen. Mit der Vergangenheit sollte man sich lieber bei Tageslicht auseinandersetzen.
    Sicherheitshalber noch einmal um den Block herum. Wenn sich nichts rührte, würde er nach Hause fahren.
    Er war ein hartnäckiger Kerl, auch das machte ihn zu einem guten Cop. Außerdem war er nicht müde. Er hatte am frühen Abend ein Nickerchen gemacht, kurz vor seiner wöchentlichen Bibelstunde bei Rabbi Schulman. Der alte Mann war bereits Mitte Siebzig, trotzdem hatte er mehr Energie als manche Leute, die nur halb so alt waren. Drei Stunden lang hatten sie zusammen studiert. Um Mitternacht, als der Rabbi immer noch keine Anzeichen von Müdigkeit zeigte, hatte Decker erklärt, er könne nicht mehr.
    Der alte Mann hatte lächelnd seinen Talmud-Band zugeklappt. Sie beschäftigten sich gerade mit dem Zivilrecht über verlorene und gefundene Gegenstände. Nach dem Unterricht hatten sie sich noch ein bißchen unterhalten und ein paar Zigaretten geraucht – für Decker die
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