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Todeszauber

Todeszauber

Titel: Todeszauber
Autoren: Arthur W. Upfield
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    Genau wie damals!
    Dieser Gedanke ließ sie nicht los. Es war, als wollte sie ein Quälteufel immer wieder an jenen verhängnisvollen Abend vor zwölf Jahren erinnern.
    Fast auf den Tag genau hatte Mary Gordon vor zwölf Jahren auf ihren Mann gewartet, war unruhig in der schönen Wohnküche der Meena-Station umhergewandert. Die Uhr auf dem Kaminsims schlug die Viertelstunden – genau wie an jenem Abend vor zwölf Jahren. Damals hatte der Kalender den neunzehnten April angezeigt – heute verkündete er den achtzehnten. Genau wie in jener Unglücksnacht trommelte der Regen auf das Wellblechdach. Das monotone Dröhnen zerrte an Mary Gordons Nerven, denn es übertönte das Geräusch, auf das sie so sehnlich wartete: den Huf schlag sich nähernder Pferde.
    Die Uhr schlug achtmal.
    Der Tisch war für drei Personen gedeckt. Das Essen stand in der Backröhre des Herdes. Acht Uhr. Seit zwei Stunden war das Abendessen fertig!
    Vor zwölf Jahren war Mary Gordons Mann nicht mehr nach Hause gekommen. Würde ihr Sohn John heute abend ebenfalls nicht nach Hause kommen?
    Die Frau war zu unruhig, um sich zu setzen, um zu lesen oder zu nähen. Der Regen trommelte auf das Blechdach, rauschte in den Blättern der beiden Orangenbäume, die vor der Veranda standen, prasselte auf die Dächer der Nebengebäude. Kurz nach Mittag hatten sich aus Nordwesten schwarze Wolken herangeschoben, und es war früh dunkel geworden.
    Was mag die beiden nur aufhalten? dachte Mary Gordon.
    Sie stand in der offenen Tür der großen Wohnküche und lauschte angestrengt, doch kein Hufschlag war zu hören, nur das monotone Rauschen des Regens. Endlich, nach langen, heißen Sommermonaten, war dieser Regen gekommen. Sie hatte ihn mit freudiger Erregung begrüßt, hatte die warme, feuchte Luft tief eingesogen, hatte lange auf der Westveranda gestanden und zugesehen, wie die dicken Tropfen in den ausgetrockneten Meenasee fielen.
    Genau wie damals!
    Vor zwölf Jahren hatte sie ebenfalls in der Tür gestanden, hatte auf den Hufschlag gelauscht, aber nur das Rauschen des Regens vernommen. Stunde um Stunde hatte sie gewartet, bis der neue Tag grau heraufgekrochen kam. Damals hatten vier Leute auf der Station gearbeitet. Sie hatte sie geweckt, hatte ihnen Frühstück gegeben und sie mit zwei Eingeborenen auf die Suche nach ihrem Mann geschickt. Er hatte unter seinem Pferd gelegen, das sich in einem Kaninchenbau ein Bein gebrochen hatte. Sie hatten ihn nach Hause gebracht – naß und kalt, mit Schlamm bespritzt. Jetzt aber arbeiteten lediglich ihr Sohn und Jimmy Partner auf Meena, und beide waren irgendwo draußen in Dunkelheit und Regen, während sie längst hätten zu Hause sein sollen.
    Vielleicht machte sie sich auch unnötige Sorgen. Ihr Mann war damals allein losgeritten, um auf der Südweide nach dem Vieh zu sehen. John hingegen war mit Jimmy Partner unterwegs, wollte die Schafe auf der Ostweide kontrollieren. Wenn John etwas zustoßen sollte, würde ihm Jimmy Partner helfen. Es mußte ja auch nicht unbedingt ihrem Sohn etwas passiert sein, genauso gut konnte Jimmy Partner verunglückt sein. Sie verstand einfach nicht, was die beiden so lange aufhielt – vor allem, da es seit zwei Uhr immer heftiger regnete!
    Mary Gordon war groß und hager, in ihrem Gesicht hatten sich tausend feine Fältchen eingegraben. Ihr schütteres Haar war fast weiß, aber die grauen Augen blickten noch immer groß und ausdrucksvoll.
    Sie hatte es nicht leicht gehabt, doch die Liebe von Mann und Sohn hatten sie entschädigt für die schweren Jahre, die sie als Tochter eines Fuhrmannes durchmachen müßte. Sie hatte ihren Vater auf dem Ochsengespann begleitet, hatte für ihn gekocht und oft am Morgen die Ochsen einspannen müssen – ja manchmal lenkte sie sogar das Gespann, wenn der Väter betrunken hinten auf dem Wagen lag. Nachdem er schließlich unter den Rädern seines eigenen Fuhrwerks den Tod gefunden hatte, war Mary als Hausangestellte auf die Viehstation gegangen, bis John Gordon sie heiratete und mit nach Meena nahm, dem von ihm gepachteten hundertzwanzigtausend Hektar großen Weidegut.
    Als John Gordon tödlich verunglückte, wurde er auf dem kleinen Friedhof der Station neben John I. zur letzten Ruhe gebettet. John III. war damals sechzehn Jahre alt und ging in Adelaide zur Schule. Er kam sofort nach Hause und bestand darauf, die Schafzucht zu erlernen.
    Genau wie damals!
    Aber nein! Es durfte nicht sein! Warum nur kamen die beiden nicht nach Hause?
    Mary
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