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Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
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hineingeboren in eine Liebe und eine Familie und in ein Zuhause, das dich wollte! Du bist ein Wunschkind!
    Du gehörst zu uns, bist in mir gewachsen, bist durch mich geboren. Dich hat keiner weggegeben und niemand genommen, der Pläne gehabt hat mit dir.
    Du hast doch all meine Liebe bekommen, aber du lehnst mich ab, so dachte ich mit zusammengebissenen Zähnen und wusste ja doch, dass ich dir zutiefst Unrecht tat damit.
    Nach meinem Besuch beim Hofer war mir klar geworden, dass es an mir war, meiner Gesichte den Raum zu geben, den sie brauchte, um alle ihre Geheimnisse zu offenbaren, damit für mich selbst endlich Platz genug war. In meinem eigenen Leben, und nicht bei dir. Denn als ich ­erkannt hatte, dass ich mit aller Gewalt versucht hatte, Unwägbarkeiten und Eventualitäten aus meinem Leben fernzuhalten, aus lauter Sorge darüber, die Kon­trolle zu ver­lieren, entschied ich an deinem ersten Geburtstag, das Schweigen von Julka nicht länger hinzunehmen.
    Und weil sie sah, dass ich nicht lockerlassen würde, gab sie ihren Widerstand auf und erzählte mir, was damals wirklich passiert ist, als sie nur mit einem kleinen Koffer in der Hand und einem Foto von Tanja in Süddeutschland einen Bus bestiegen hatte, der sie quer durch Europa bis nach Asien zu meinem Vater gebracht hat.
    Sie kommen in Istanbul an, als der Morgen graut.
    Der Bus fährt nicht weiter, sie müssen umsteigen auf die Fähre. Es gibt heißen Tee, und als die Sonne aufgeht, weint sogar der Fahrer.
    Aus Julkas Reisegruppe sind noch eine Handvoll Frauen übrig. Alle müssen bis weit nach Anatolien hinein, so bleiben sie zusammen. Das Reiseunternehmen hat ein Hotel gebucht, das einen französischen Namen trägt und aussieht, als würde es jeden Moment zusammenbrechen.
    »Das hätte mein Mann über Nacht stabiler gebaut als der europäische Architekt in drei Jahren«, witzelt eine, und eine andere will schnell ihre Cousine besuchen in einem Stadtteil, von dem Julka noch nie etwas gehört hat.
    Unfassbar laut ist es in Istanbul. Julka ist deutsche Ordnung gewöhnt und außerdem war sie noch nie in einer so großen Stadt. Einmal übernachten sollen sie, dann kommt ein anderer Bus und bringt sie nach Ankara.
    In Yozgat steigt sie alleine aus dem Bus. Sie ist die letzte Reisende an diesem Tag. Der Fahrer zeigt ihr den Weg zum Taxistand, weil er denkt, sie muss in die Stadt. Ihren kleinen Koffer trägt sie allein.
    »Wie viel willst du für eine Fahrt in dieses Dorf?«, fragt sie einen knittrigen bärtigen Mann und hält ihm einen Zettel hin mit Ahmeds Adresse.
    Der versteht sie nicht und so fragt sie den nächsten, der will sie nicht fahren und macht das Zeichen gegen den bösen Blick. Der dritte ist jünger, er lehnt an seinem Wagen, hat die Szene beobachtet, trinkt langsam seinen Tee aus und geht auf Julka zu.
    »Wohin willst du?«, fragt er.
    »Kannst du dahin fahren?«, fragt sie dann und zeigt wieder den Zettel vor.
    »Was willst du da oben? Wartet dein Mann da auf dich?«, fragt er und sie nickt.
    Er öffnet ihr die Wagentür, nimmt ihr den Koffer ab und setzt sich hinter das Lenkrad.
    »Was willst du denn da, bei denen da oben?«, fragt er noch mal.
    »Meinen Mann besuchen, hast du schon mal gefragt«, sagt Julka.
    Sie denkt, vielleicht besuche ich ihn ja wirklich. Ihn und seine Ehefrau und seine Kinder. Die Augen wird sie ihr auskratzen und ihn würde sie umbringen, wenn er nicht die Kinder hätte, die nichts dafür können, für ihren Vater.
    Und wenn da nicht die Liebe wäre, die sie nicht wegbekommt aus ihrem Kopf und aus ihrem Herzen, das weiß sie, aber das kann sie dem Taxifahrer nicht sagen.
    »Mein Haus ist das erste an der Kreuzung bei der alten Eiche«, hatte Ahmed gesagt, »das kannst du nicht verfehlen.«
    Sie bezahlt den Fahrer, öffnet den Koffer und sieht nach den Schlüsseln, die sie von Ahmed hat, sie sind noch da.
    Ein einziges Mal hat sie Kamil geschrieben.
    Dass sie kommt, hat sie ihm geschrieben. Nur das. Nicht mehr.
    »Ich komme.«
    Nicht wann, nicht wohin. Soll er doch sterben vor Angst, soll er doch. In seiner Kaserne wird er hocken und sich in die Hosen scheißen, denkt Julka, hoffentlich klebt die Scheiße an seinem Arsch und stinkt für mindestens sieben Tage. Soll er heulen vor Angst, dass sie kommt und mit seiner Frau spricht, während er in seiner Kaserne sitzt, in Ankara oder sonst wo, und Blut soll er kotzen vor Angst davor, was sie macht mit seinen Kindern. Soll er doch.
    Aber dann ist alles ganz anders.
    Dann
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