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Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
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worden war.
    »Fahren hier keine Busse mehr?«, fragt Julka.
    »Busse?«, fragt Ayse.
    »Hast du es immer noch nicht kapiert, Ayse, Ehefrau von Kamil?«
    Ayse schüttelt den Kopf und schaut mit fragenden Augen zu Julka, was wird hier gespielt?
    »Ich gehe nach Deutschland zurück«, sagt Julka, und klingt ihre Stimme nicht belegter als sonst?
    »Deutschland?«, sagt Ayse und versteht nicht.
    »Ich setze mich hier an die Bushaltestelle und warte auf einen Bus, der mich nach Yozgat bringt. Dort warte ich auf einen Bus, der mich nach Istanbul bringt, und dort, dort warte ich auf einen Bus, der nach Deutschland zurückfährt.«
    »Du hilfst mir nicht?«, fragt Ayse.
    Verzweifelt.
    Julka nimmt eine Zigarette aus der Tasche und zündet sie an.
    »Wäre dir mehr geholfen mit einer schlechten Abtreibung und einer Scheidung und zwei Kindern allein?«
    Sie bläst den Rauch raus und sieht Ayse an.
    »Oder damit, dass ich verschwinde und nie mehr wiederkomme, und du behältst Kamil? Was wäre besser?«
    »Liebst du ihn denn nicht?«, fragt Ayse leise.
    Julka schaut in die Dunkelheit. Liebe, denkt sie. Wo führt es hin, wenn man seinem Herzen folgt? Es führt in die Verzweiflung, wie es ihren Vater in die Verzweiflung getrieben hat. Es führt einen nach Deutschland, das man sich so ganz anders erträumt hat. Es führt einen in die Arme eines Mannes, der wunderbar ist und verheiratet. Es bringt einen dazu, ein kleines Mädchen zurückzulassen und Tausende Kilometer zu reisen, nur um noch einmal eine Antwort zu bekommen von ihm, und es lässt einen seine Liebe stehlen von seiner Frau und seinen Kindern. Es hindert einen daran, klar im Kopf zu sein. So ist das mit der Liebe.
    »Doch. Aber nicht um diesen Preis.«
    Ayse weint jetzt.
    »Ich würde nie und nimmer sein Kind abtreiben, nie.«
    Julka sieht ihr geradewegs ins Gesicht und zertritt die rasch gerauchte Zigarette im sandigen Boden.
    »Und du auch nicht. Du nicht«, sagt sie.
    Der Morgen schlüpft über die Berge und färbt die Gipfel rot, als Julka sich von Ayse verabschiedet.
    »Fahr«, sagt Julka, »die merken sonst, dass das Auto fehlt.«
    Ayse nickt.
    »Das wäre schlecht«, sagt sie und versucht ein schiefes Lächeln.
    »Denke ich mir«, sagt Julka.
    Die Frauen umarmen einander, wie Schwestern.
    »Kein Wort zu Kamil, hörst du? Bis an dein Lebensende nicht!«
    Julka sieht dem Wagen nach und hofft, dass sie heil wieder ankommt im Dorf. Dass das Auto fehlt, wird wohl keiner bemerkt haben, die werden alle besoffen sein von Ahmeds Fest.
    Ganz fest denkt sie daran, dass Ayse nichts passiert und dem Kind in ihrem Bauch, dass sie gut nach Hause kommt über die steilen Straßen und Kurven, und sie konzentriert sich darauf, an Ayse zu denken und an niemanden anders, dessen Herz gerade bricht.
    Der Bus kommt.
    Julka steigt ein. Sie weiß noch nicht, dass sie nicht alleine nach Deutschland zurückfährt.
    »Ich möchte ihn finden«, sage ich zu Julka, als sie geendet hat.
    »Mach das«, sagt sie, trocken wie immer, aber ihre Blicke wandern unruhig durch den Raum. Etwas stimmt nicht.
    »Das war nicht alles«, sage ich ruhig.
    »Doch«, behauptet sie trotzig.
    »Gib mir seine Adresse«, sage ich.
    » Du hast doch das neumodische Computerzeugs«, sagt sie wütend, »schau da nach.«
    Sie geht raus in den Garten und raucht eine nach der ­anderen. So gut kenne ich sie inzwischen, dass ich weiß, sie würde am liebsten alle ihre Wörter wieder herunter­schlucken, damit sie ihr Kind nicht teilen muss. Vor nichts hat sie mehr Angst als davor, mich abermals zu verlieren. Dar­um rennt sie da draußen auf und ab, und darum weiß ich, dass ich selber zu Ende suchen muss, notfalls mit Wörterbuch im türkischen Internet, das dankenswerterweise ein landesweites Telefonverzeichnis bereithält und nur ­einen einzigen Kamil Yurdagül. Meinen Vater.
    Bald weiß ich die Telefonnummer auswendig, aber das hilft nicht weiter. Was soll ich einem Mann sagen, der nicht einmal weiß, dass es mich gibt?
    »Vielleicht lebt ja sein Bruder noch in Deutschland?«, sage ich zu Tanja.
    »Und die Cousins!«, ruft sie und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. »Wie konnte ich die vergessen!«
    Jetzt komme ich nicht mehr raus aus der Nummer, denke ich, jetzt nicht mehr. Denn Tanja steht schon da mit dem Telefon in der Hand und wählt, und ich würde auch gern rausrennen zu Julka, aber ich rauche ja nicht mehr.
    Warum wundert es mich nicht, dass Cem Yurdagül in unserem Telefonbuch steht und zu Hause ist,
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