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Suna

Suna

Titel: Suna
Autoren: Ziefle Pia
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als Tanja ihn anruft?
    Und außerdem ein Gedächtnis hat wie ein Elefant und sowieso viel mehr weiß als wir, zum Beispiel von Tanja, und redet wie ein Wasserfall, ich kann es über den Lautsprecher hören.
    Denn »Emine!«, ruft Cem am Telefon. »So viele Jahre, natürlich, was machst du? Wie geht es dir? Was gibt es Neues, wie viele Kinder hast du? Kommst du zum Kaffee vorbei! Beeil dich, komm schnell rüber, ich sage dir die Adresse.«
    »Jetzt?«
    »Es geht nur heute, jetzt gleich, in ein paar Tagen geht es los, wir packen, wir verreisen, in die Heimat, ja, es gibt eine Verlobung, kannst dir ja vorstellen, wie viel Gepäck man da braucht.«
    »Ihr verreist?«
    »Emine, es ist Sommer! Da reist man zu Onkel und Tante in die Heimat. Und eine Verlobung gibt es, hab ich schon gesagt? Natürlich kommst du, wenn sie heiraten! Sie verloben sich in der Türkei und heiraten in Deutschland, die Einladungskarten sind noch nicht gedruckt, du bekommst eine, ich leite das in die Wege, aber jetzt erzähl doch mal, was führt dich her?«
    Schon sind sie mitten in einer Plauderei, als hätten sie in der vergangenen Woche das letzte Mal telefoniert.
    »Ja, mit der ganzen Familie reisen wir, und jede Familie hier hat mindestens zwei Kinder, ich sogar fünf, was soll man sagen, und wie geht es dir, erzähl uns, warum rufst du an, nach so vielen Jahren? Ist jemand gestorben? Dass mein Vater Do ğ an tot ist, weißt du, nein?«
    »Woher denn, Cem«, sagt Tanja und »ich reiche dich mal eben weiter an meine Schwester«.
    Da sagt er nichts, unser Cem. Hat’s ihm die Sprache verschlagen.
    »Eine Schwester hast du?«, fragt er dann vorsichtig.
    »Ja«, sagt Tanja.
    »Was für eine Schwester hast du?«
    »Eine jüngere Schwester, sie heißt Luisa«, sagt Tanja, leichthin und grinst mich an. Ein bisschen auf die Folter will sie ihn schon spannen, bevor sie die Bombe platzen lässt und meinen richtigen Namen sagt.
    »Emine, du willst doch nicht sagen, dass du wirklich und wahrhaftig eine Schwester hast?«
    Cem klingt beinahe verzweifelt.
    »Doch, sage ich dir die ganze Zeit, und jetzt sage ich dir noch was: Sie ist die Tochter von deinem Onkel Kamil.«
    »Nein«, sagt Cem, »das kann ich nicht glauben. Das hieße ja … Suna … Nein, Emine, das willst du nicht sagen! Tante Ipek, komm ans Telefon, Emine ist dran, warum, das erklär ich dir später, aber sie will uns sagen, dass Suna lebt!«
    Ich bin noch lange nicht weggekommen vom Telefon an diesem Tag, denn alle wollten sie mit mir sprechen, alle Cousinen, die bei Cem zu Besuch waren und die, die seine Frau mit dem Handy verständigt hat.
    »Hast du E-Mail?«, fragte er. »Schick mir Bilder von dir!«
    Nebenher schickte ich Bilder von mir und von euch und hörte sogleich aufgeregtes Geplapper bei ihm, als sie an­kamen.
    »Nein«, sagte er, »kein Zweifel, das kann er nicht leugnen. Du bist die Tochter von Kamil Yurdagül. Du bist Suna. Kein Zweifel.«
    Kamil fuhr mit dem Fahrrad soeben die Straße entlang, um nach dem Winterhaus zu sehen, als er in der Ferne, unten im Tal, das Auto von Cem erblickte, seinem Neffen. Der hatte sich wie jeden Sommer mit der ganzen Familie aus Deutschland auf den Weg gemacht, das Heimatdorf zu besuchen.
    Kamil stieg ab und schob das Rad ein Stück. Früher, als er ein Kind gewesen war, konnten hier keine Autos fahren, da war der Weg nur wenig mehr als ein Ziegenpfad gewesen, den er oft entlanggegangen war mit seinem Bruder Do ğ an.
    Das Motorengeräusch wurde lauter. Sein Herz schlug schneller, vielleicht wegen der Hitze. Vielleicht aber auch we­gen der rätselhaften Worte seines sonst so schnörkel­losen Neffen.
    »Onkel Kamil«, hatte Cem am Telefon gesagt, »schone dein Herz und schone deinen Körper. Bereite dich vor auf Nachrichten aus Deutschland, auf die du niemals zu hoffen gewagt hättest.«
    »Was kann das sein, Cem?«, hatte der alte Mann gefragt und keine Antwort erhalten.
    Staub wirbelte auf, als der Wagen neben ihm zum Stehen kam und Cem das Fenster herunterließ.
    »Cem, mein Sohn, war die Reise gut?«, fragte er und suchte im Gesicht seines Neffen nach einem Hinweis auf die Botschaft, die er ihm angekündigt hatte.
    »Ich grüße dich, Onkel«, sagte Cem, und sein jüngstes Kind fing irgendwo im vollgepackten Wagen an zu weinen.
    »Fährst du ins Winterhaus?«, fragte Cem rasch.
    »Das hatte ich vor«, sagte Kamil.
    »Ich bringe meine Frau und die Kinder nach Hause, dann besuche ich dich dort«, sagte Cem. »Warte auf jeden Fall auf
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