Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Akte X

Akte X

Titel: Akte X
Autoren: Seilbahn zu den Sternen
Vom Netzwerk:
Prolog
Pulaski, Virginia 3. Juni 1985
    Der Nachthimmel spannte sich endlos über der dunklen Hügellandschaft von Virginia. Sternenlicht fiel auf eine Reihe baufälliger Häuser mit heruntergelassenen Rollläden. Alles schien zu schlafen, bis auf die Hunde, die kläfften und knurrten. In ihrem Heulen und Jaulen schwang eine Spur von Nervosität mit, als witterten sie irgend etwas, das die Menschen mit ihren beschränkten Sinnen nicht wahrnehmen konnten.
    Im Vorgarten des Hauses Nummer 2238 in der Carter Street strich der Wind raschelnd durch das Unkraut, das um die verrottende Karosserie eines 1963er Chevy Malibus herum wucherte. Der ausgeschlachtete Wagen schaukelte in den Böen sanft auf zerbröckelnden Betonklötzen. Das Haus war einmal sauber, gepflegt und hell gewesen. Jetzt wölbten sich die Schindeln wie ungebändigte Strähnen nach einem schlechten Haarschnitt unter einem fleckigen Anstrich, der an eine nicht behandelte Hautkrankheit erinnerte.
    Im Inneren des Hauses hob ein schwarzweiß gescheckter Mischlingshund plötzlich den Kopf und spitzte wachsam die Ohren. Nach einer Weile ließ er die Schnauze wieder sinken, erhob sich dann und trabte über den verzogenen Furnierholzboden, der als das Ergebnis eines halbherzigen Renovierungsversuchs zurückgeblieben war. Die Krallen des Hundes erzeugten bei jeder Bewegung leise klickende Geräusche.
    Langsam lief er an nackten Wandpfosten vorbei, zwischen denen dicke, vom Alter vergilbte Plastikplanen gespannt waren. Über seinem Kopf fuhr der Wind durch die leeren Fensterrahmen und ließ die gelbliche Unterwäsche hin- und herschaukeln, die von einer provisorischen Wäscheleine herabbaumelte. In der Küche stieß der Hund auf zwei billige Freßnäpfe aus Kunststoff. Auf einen davon hatte irgend jemand in ungelenken Blockbuchstaben mit einem gelben Filzstift »Lucky« gekritzelt.
    Der Hund schnüffelte an der dunklen Masse in seinem Napf. Auf dem halb eingetrockneten Brei wimmelte es von Ameisen. Der Gestank, der davon ausging, ließ ihn zurückweichen. Er schnaubte leise, machte kehrt und trottete davon.
    Am Ende des Flurs drang gedämpftes bläuliches Licht aus der Tür eines Schlafzimmers. Lucky arbeitete sich über Berge von Jeans, verwaschenen Hemden und zusammengeknüllten Socken hinweg. Sein Schatten malte sich an der Wand ab, als er auf das Bett hüpfte und es sich mit einem Seufzen bequem machte.
    Ein unrasierter Mann lag dort schlafend auf dem Rücken, eingehüllt in einige schweißgetränkte Laken, die Arme ausgebreitet, die Lippen so fest zusammengepreßt, daß sie nur noch als ein dünner Strich sichtbar waren. Er schnarchte leise durch die Nase. In dem spärlichen Licht, das der flackernde Fernseher verbreitete, glänzte eine blasse Narbe auf der Stirn des Mannes, eine gezackte, sich verzweigende Linie, die sich von den Augenbrauen bis zum Ansatz seines dunklen Haares zog.
    Lucky ließ die Schnauze auf die Vorderpfoten sinken und beäugte die bunten Gestalten im Fernseher, in dem gerade Der Zauberer von Oz lief. Er sah mit hell glänzenden Augen verständnislos zu, wie die Munchkinmädchen Dorothy, deren Haus gerade auf dem Dorfplatz gelandet war, ein Lied vorsangen. Seine Ohren zuckten im Rhythmus der fröhlichen Musik.
    Plötzlich erlosch das Bild, und der Ton verstummte. Auf dem Bildschirm blieb nur ein schrumpfender weißer Punkt zurück, der noch einen Moment aufglühte, bevor er gänzlich verschwand. Am anderen Ende des Flures huschte ein Schatten an der Tür vorbei.
    Lucky richtete sich ruckartig auf und knurrte leise. Sein Herrchen, offensichtlich in einem Traum gefangen, regte sich nicht. Lucky sprang vom Bett. Vier weitere Schatten glitten durch den Flur, flüchtige Schemen, klein, unmenschlich schlank, flink und beweglich wie Quecksilber in einer Flasche.
    Der Hund stemmte die Vorderläufe steif auf den Boden, sträubte das Nackenfell und bleckte die Zähne. Er bewegte seinen Kopf unruhig hin und her, während er versuchte, die verborgenen Eindringlinge auszumachen.
    Der Vakuumkegel, der auf das Haus in der Carter Street Nummer 2238 hinabschoß, saugte mit einem Schlag alle Luft aus dem heruntergekommenen Gebäude. Durch den plötzlichen Unterdruck schmiegten sich die Plastikplanen mit einem klatschenden Geräusch gegen die Zwischenwandpfeiler. Ein bedrohliches Grollen durchdrang die Stille. Licht von überirdischer Reinheit und Intensität vertrieb die Schatten.
    Die Augen des Mannes öffneten sich mit einem Schlag und wurden riesig. »Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher