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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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Also ich finde, zu einem anständigen Leichenschmaus gehört ein Menü und nicht diese À-la-carte-Esserei. Bei uns daheim war es immer eine gute Rindssuppe mit Frittaten und kleinen Leberknöderln und eine Semmel dazu, die der Bäcker nur für die Begräbnisse gebacken hat, dreimal so groß wie eine normale. Zu Hochzeiten gab es Schweinsbraten mit Kraut und Knödeln oder Schnitzel mit Erdäpfel- und Gurkensalat. Krapfen gab’s im Fasching und zum Kirtag, aber die Kirtagskrapfen waren anders als die Faschingskrapfen.« Die Köchin wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Aber heute, das totale Durcheinander, und wie soll man bitte schön zehn und mehr verschiedene Gerichte gleichzeitig fertig haben? Da warten die einen noch auf die Suppe und die anderen schreien schon nach dem Kaffee. Kein Wunder, wenn die Ehen nicht halten, wo doch schon bei der Hochzeit jeder tut, was ihm gerade einfällt und worauf er Lust hat. Wie soll es da eine Treue geben. Und beim Leichenschmaus ist die Ordnung genauso wichtig, ich meine, das soll doch mit Anstand und Würde über die Bühne gehen, ist schließlich oft das letzte Mal, wo die Familie vollzählig beisammen ist, nach der Testamentseröffnung sind meistens sowieso alle bös.«
    Der Kellner nickte, er nickte grundsätzlich zu allem, was die Köchin sagte, erstens weil er keineswegs alles verstand, wenn sie in Fahrt kam, zweitens weil er mit dem, was er sich aus ihren oft langen und verschlungenen Sätzen zusammenreimte,
ohnehin einverstanden war, und drittens weil er sie liebte. Es gab noch ein viertens, das ihm aber nicht bewusst war: Die Köchin erinnerte ihn an seine Lieblingstante, sie machte das Fremdsein in Wien erträglicher. Ein Saal voll lästiger, anspruchsvoller, ungeduldiger Gäste, von denen man schon beim Hereinkommen genau wusste, wie knickrig ihr Trinkgeld ausfallen würde, konnte Alban nicht aus der Ruhe bringen, je mehr sie schimpften, umso bedächtiger wurden seine Bewegungen, umso sanfter sein Lächeln. Er redete wenig, was er sagte, war oft grammatikalisch so originell, dass man lange nachdenken musste, um den Sinn zu verstehen, aber das Nachdenken lohnte sich. Die Köchin liebte ihn, er war der Einzige, der das nicht merkte, und er umwarb sie weiter mit einer hoffnungslosen Ritterlichkeit, die Lisa rührte. Lisa, die Studentin, die geholt wurde, wenn eine Trauergesellschaft angesagt war, die ständige Aushilfe. Fest angestellt war nur die Köchin. Mehr trage der Laden nicht, behauptete der Wirt, und Lisa sei noch so jung, viel zu jung, um an die Rente zu denken, und außerdem wisse ja doch kein Mensch, ob es überhaupt noch eine Rente geben werde, wenn sie einmal alt genug wäre. Was Alban betreffe, so werde er doch gewiss wieder in sein Kaff auf dem Balkan zurückkehren, freiwillig oder unfreiwillig, also wozu dem Finanzminister unnötig Geld in den Rachen werfen? Ohne Arbeitsgenehmigung habe er Alban angestellt, aus reiner Nächstenliebe, und Lisa müsse gar nicht so blöd grinsen. Lisa hatte versucht, dem Kellner klarzumachen, dass eine Arbeitsgenehmigung im Gastgewerbe leicht zu bekommen wäre, zumindest auf Zeit, aber Alban reagierte ungewohnt heftig. Lieber Zahnziehen ohne Spritze als Amt, erklärte er, tut weniger weh, und nein, er wolle ganz sicher nicht darüber reden. Lisa war erschrocken, als sie sah, wie verzweifelt
er das Zittern zu unterdrücken versuchte, das in den Beinen begann und nach oben wanderte, wie seine Kiefer mahlten, seine Lider flackerten. War er nicht viel zu jung, um die Schrecken erlebt zu haben, die seine Reaktion erklären würden? Sie gab es auf, das Thema anzusprechen, nicht aber, darüber nachzudenken. Am besten wäre es für ihn, gemeinsam mit der Köchin ein eigenes Gasthaus aufzumachen. Vielleicht sogar dieses zu übernehmen, wenn der Wirt endlich in Rente ging. Nicht, dass der auch nur einen Finger rührte, aber das Sagen hatte er noch immer, nur über seine Leiche würden sie irgendwelche Neuerungen einführen dürfen. Nein, es war entschieden besser, die beiden machten sich auf die Suche nach etwas anderem. Lisa war überzeugt, dass Bärbel und Alban ein ideales Paar abgaben. Immer wieder überlegte sie, ob sie der Köchin sagen sollte, sie müsse selbst die Initiative ergreifen. Bärbel aber schien allen Ernstes zu glauben, Alban sei verliebt in die blonde Hanka, an der alles kullerte, ihre Augen, ihr Lachen, ihre milchkaffeebraunen Brüste. Alban zog manchmal an ihrem dicken Zopf, aber es war mit Händen zu
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