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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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nehmen ist eine teuflisch schwere Arbeit. Nimmt man Abschied von einem Menschen oder Abschied von einem Bild? Meine Ditta haben die anderen hier alle nicht gekannt. Angeblich verblassen die Bilder mit der Zeit. Heißt das, dass man auch von den Bildern Abschied nehmen muss?
    Wie kann man mit zwanzig so müde sein.

Die Frau im Rollstuhl hat ein ganz süßes Lächeln« , berichtete Lisa der Köchin. »Es hängt nur schief in ihrem Gesicht, wahrscheinlich hat sie einen Schlaganfall gehabt. Wirklich sehenswert, welche Mühe sich die Damen geben, nicht zu zeigen, wie sie sich ekeln, wenn sie mit offenem Mund kaut und ihr der Essensbrei übers Kinn läuft. Ein schöner Anblick ist es ja wirklich nicht.«
    Bärbel nickte. Sie kenne das von ihrer Großmutter. Ihr habe auch gegraust, und es habe überhaupt nicht geholfen, dass die Mutter sagte: »Denk daran, wie oft die Oma deinen Hintern geputzt und deinen Dreck weggemacht hat.« Sie habe es einfach nicht gelten lassen, dass ein kleines Kind nun einmal etwas anderes sei als ein alter Mensch. Aber die Mutter habe die Großmutter nie selbst gefüttert. Eines Tages habe die Großmutter den Mund nicht geöffnet, als sie mit dem Löffel kam, da habe alles Zureden nicht geholfen, sie glaube nicht, dass man ihr mit der Brechstange die Kiefer auseinanderzwängen hätte können, Zähne habe sie ja schon lange keine mehr gehabt, und von dem Tag an habe sie nichts mehr gegessen, höchstens aus der Schnabeltasse Tee getrunken, und als der Pfarrer kam, weigerte sie sich zu beichten. Ihre paar Sünden, sagte sie plötzlich ganz klar, die habe sie schon längst abgebüßt, und sie müsse sowieso mit dem lieben Gott ein Wörtchen reden, der habe auch einiges zu erklären. Damals hätten alle erwartet, dass der Herr Pfarrer einen seiner Wutausbrüche bekäme, für die er im
ganzen Landkreis berühmt war, aber er habe ihr nur ein Kreuzzeichen auf die Stirn gemacht und genickt und gefragt, ob sie die heilige Kommunion empfangen wolle, »und das wollte sie und war ganz andächtig und draußen haben die Vögel gesungen«. Während Bärbel redete, formte sie Knödel und legte sie behutsam ins brodelnde Wasser, zwischendurch rührte sie die Zwiebeln in der Pfanne, schmeckte eine Sauce ab, wendete die Bratkartoffeln, nickte Lisa zu, sie könne schon die Salatschüsseln füllen. Alban zapfte an der Theke Bier. Hanka stellte Suppenteller auf ein Tablett.
    »Besser schnell füttern« , sagte sie, »hungriges Magen knurrt wie böse Hund. Keiner da drin schaut andere an, immer nur Tischtuch. Ist gefährlich.«

Marie, 81
    Wie kann man einen Menschen gleichzeitig umarmen und sich vom Leib halten? Hoffentlich geht er wenigstens mit seiner Frau anders um. Schon als kleiner Bub wurde er stocksteif, wenn ich ihn in den Arm nahm. Wenn ich ihm ein Busserl gab, lief er ins Badezimmer und wusch sich endlos lange das Gesicht. Gut, dass die Kinder so schnell kamen, es ist zwar die Mutter jung, aber Andreas wird über siebzig sein, bevor die beiden die Matura machen. Der Große ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, dieselbe feine Nase, dieselben geschwungenen Brauen, derselbe etwas zu fleischige Mund. Der Kleine kommt mehr nach der Mutter, er hat ihre Augen, so dunkel, dass man die Pupille nicht sieht, und die schwarzen Locken. Wenn ich nicht wüsste, dass sie Schweizerin ist, hätte ich sie für eine Italienerin gehalten, aber sie stammt von einem Bergbauernhof aus dem Engadin. Wie zart sie ist, und wie sie den Andreas anhimmelt, obwohl sie doch schon vier Jahre verheiratetet sind, ich glaube, er genießt das, aber wie lange noch, bevor es ihm langweilig wird? Ich wünsche ihr so sehr, dass er sie nicht enttäuscht, sie hat etwas sehr Liebes an sich, aber zerbrechlich, ich hab fast das Gefühl, ich müsste leise reden in ihrer Gegenwart. So ein Unsinn. Warum schaffe ich es nicht, sie einfach anzurufen? Sie rührt mich, ich glaube nicht, dass sie oft verwöhnt worden ist, wenn überhaupt. Nicht, dass ich gut wäre im Verwöhnen, aber ich könnte es versuchen auf meine alten Tage. Komischer Gedanke. Wenn Andreas dabei ist, sagt siemeist kein Wort, lächelt nur, beobachtet. Genau, das ist es, ich fühle mich von ihr beobachtet, weiß ja auch nie, ob sie wirklich mich anschaut, oder ob es nur an den dunklen Augen liegt mit den versteckten Pupillen. Wenn wir allein sind, redet sie schon mit mir, eigentlich fragt sie mehr und hört sehr aufmerksam zu. Sie will alles über Andreas wissen, und ich kann ihr so wenig
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