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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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gesagt, er muss. Drei Tage war er Flakhelfer, am vierten Tag kam der Blockwart und brachte seine Firmungsuhr und redete vom Heldentod für Führer und Vaterland. Der Herr Oberamtsrat hat nur genickt, als hätte er es längst gewusst, die alte Dame hat die Hand ausgestreckt und den Blockwart aus dem Haus gewiesen, der ist auch lammfromm gegangen, darüber hab ich lachen müssen, war wohl der Schock. Warum sag ich die alte Dame, wenn ich an die Zeit denke, sie war doch nur zwölf Jahre älter als ich, und dann hat sie verlangt, dass ich sie Edith nenne, das hab ich auch getan, aber es ist mir immer schwergefallen. Sie hat auch nicht gefragt, von wem ich schwanger bin, ein paar Tage später hat sie mich in ihr Zimmer gerufen. Da saß der Herr Oberamtsrat in dem Rollstuhl, den wir auf dem Dachbodengefunden hatten, mit Peddigrohr und geschwungenen Kufen, die rote Decke über dem Schoß, und sie sagte ganz feierlich: »Du hast deinen Sohn nicht ganz verloren, Marie wird dir einen Enkel schenken.« Er fing an zu brüllen, das kennt man ja, die Dienstboten machen sich an die jungen Herren heran, eine Hure hat er mich geheißen. Edith sprang auf, trat neben ihn, so dass er den Kopf weit zurücklegen und zu ihr hochblicken musste, und sagte sehr leise: »Die Marie ist ein gutes Mädchen, und du nimmst das sofort zurück.« Er ballte die eine Faust, die er noch hatte, und was er alles schrie, das kann sich kein Mensch vorstellen. Edith legte einen Arm um meine Schultern und sagte, wenn einer ihr Haus verlassen müsse, dann ganz gewiss nicht ich, und er soll sich nach einer Pflegerin umsehen, Witwen gibt es genug, sagte sie, und er soll nur nicht glauben, dass er sich um seine Pflichten als Großvater drücken kann. Mir war so furchtbar schlecht, ich wollte hinauslaufen, aber Edith hat mich zurückgehalten, und plötzlich konnte ich alles, was mir hochkam, nicht mehr schlucken und mein Mund ging ohne mein Zutun auf und der Schwall traf den Teppich mitten im Medaillon, und sosehr wir putzten und ihn später, 1946 oder erst 48, sogar in die Teppichwäscherei brachten, da blieb immer ein Fleck, man kann ihn heute noch sehen, wenn man die Stelle weiß. Der Alte zog erst Monate später aus, angeblich dauerte es so lange, bis die ärgsten Schäden an seiner Wohnung repariert waren, das Haus war von einer Bombe gestreift worden. Aber ich habe ihn nie wieder gesehen, schon am nächsten Tag kam eine Frau ins Haus, die brachte ihm das Essen auf sein Zimmer. Edith hat gesagt, sie wird ihn erst wieder als ihren Bruder betrachten, wenn er sich bei mir entschuldigt hat. Er hat für Andreas gezahlt, aber das Geld hab ich nie angerührt, und entschuldigt hat ersich nicht. Jahre später wollte er Andreas sehen, der ging auch hin, aber er hat mir nichts darüber erzählt. In seinem Testament hat mir der Herr Oberamtsrat eine Kette hinterlassen, das sollte wohl eine Art Entschuldigung sein, aber dafür war es zu spät. Eine schöne Kette, mit Perlen und grünen Steinen. Salamander, nein, was für ein Unsinn, Smaragde, kommen beide in den Märchen vor, daran muss es liegen, Zauberdinge, hoffentlich bringen sie kein Unglück, ich hab sie der Veronika geschenkt zu Rainers Geburt. Ein bisschen zerknittert sieht sie aus, fast als wäre der Glanz ab, was für ein dummer Gedanke, Mütter mit kleinen Kindern bekommen eben nicht genügend Schlaf, dann können sie nicht aussehen wie das blühende Leben. Ich will ja keine typische Schwiegermutter sein, aber manchmal denke ich schon, dass die jungen Frauen heute gar nichts aushalten. Worüber sie sich beklagen, das wäre für mich das Paradies auf Erden gewesen. Wenn ich nur ans Teppichklopfen denke, die Jungen wissen gar nicht, was so ein Teppich wiegt und wie störrisch er sich aufführt, wenn man ihn über die Klopfstange hängen will. Im Winter haben wir die großen Teppiche in den frischen Schnee gelegt, mit dem Flor nach unten. Hinterher hat der Schnee ausgesehen wie heute schon nach ein paar Stunden, fleckig und grau. Warum ich mich da jedes Mal geschämt habe, weiß ich auch nicht. Damals hat Edith mir ja angeboten, ich könnte lernen, was ich wollte, aber ich konnte nicht, irgendwie kam es mir total verkehrt vor, Prüfungen hatten mich schon immer verschreckt, aber es war nicht nur das, es war auch eine Art Trotz, weil ich spürte, es wäre ihnen allen lieber gewesen, wenn ich einen anderen Beruf gehabt hätte. Schließlich war es peinlich genug, besonders für Stefanie und Friederike, immer wieder
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